„In den Wechseljahren wachsen wir“

Die Wechseljahre werden oft missverstanden. Sie bietet Frauen eine Chance zur Neuorientierung, erzählt Psychotherapeutin Martina Eberhart.

Text: Julia Breitkopf
Bilder: Strahlemädchen Julia Maier, 153photostudio/Getty Images

Datum: 10. März 2025
Person mit VR-Brille in Pflanzenumgebung

Frauen, die plötzlich Schweißausbrüche erleiden, impulsiv aus dem Raum stürmen und sich weinend von Fruchtbarkeit und Jugend verabschieden – so kennen viele die Wechseljahre aus Filmen und Serien. Doch diese Zeit bringt auch große Chancen. Was es damit auf sich hat und wie längst vergessene Traumata überwunden werden können, erklärt Psychotherapeutin und Coach Martina Eberhart im Gespräch mit ZIMT.

Warum ist es wichtig, die Wechseljahre als natürliche Lebensphase sichtbar zu machen?

In unserer Gesellschaft, die Leistung und Jugendlichkeit idealisiert, entsteht der Eindruck, dass das Älterwerden ein Versagen ist, etwas, das versteckt oder vermieden werden muss. Wer sich nicht mehr jugendlich oder genauso leistungsfähig wie früher fühlt, bekommt schnell das Gefühl, nicht mehr zu zählen. Die Rolle der Frau wird häufig darauf reduziert, jung, schön und in ihrer besten Form zu sein. Wenn wir den Wandel enttabuisieren und die Vielfalt der Erfahrungen anerkennen, die mit den Wechseljahren einhergehen, können wir die gesellschaftliche Haltung ändern und Frauen mehr Raum geben, sich in dieser Lebensphase zu entfalten.

Martina Eberhart ist Psychotherapeutin und Coach. Ihr Ziel ist es, das Tabuthema Wechseljahre zu brechen und Missverständnisse auszuräumen. Sie sensibilisiert Unternehmen für die Herausforderungen von Frauen in dieser Zeit und begleitet Menschen mit Lebenserfahrung dabei, unerfüllte Träume zu erkennen und zu verwirklichen.

Du meinst, die Wechseljahre können auch als Chance zur Neuorientierung gesehen werden?

Die Wechseljahre sind eine Zeit des Umbruchs und tiefgreifender Veränderungen. Viele Frauen nutzen diese Phase, um alte Rollenbilder zu hinterfragen, sich selbst neu kennenzulernen und Unbekanntes auszuprobieren. Nach Jahrzehnten der Anpassung an familiäre und gesellschaftliche Erwartungen setzen sich Frauen nun oft intensiver mit ihren eigenen Bedürfnissen auseinander und entwickeln ein neues Bewusstsein für ihre Wünsche und Ziele. Es ist das Potenzial da, alte Muster zu durchbrechen und sich von gesellschaftlichen Normen oder Erwartungen zu lösen.

Die Wechseljahre können daher nicht nur als biologischer Übergang, sondern als eine transformative Lebensphase gesehen werden, die die Möglichkeit für Wachstum, Erfüllung und neue Lebensperspektiven bietet. Frauen haben die Chance, sich selbst wieder in den Mittelpunkt zu stellen, ihre Talente und Fähigkeiten neu zu entdecken und ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten.

Welche Symptome treten in den Wechseljahren am häufigsten auf?

Ein Drittel der Frauen bleibt weitgehend beschwerdefrei, ein weiteres Drittel verspürt leichte bis mittlere Symptome, während ein Drittel erhebliche Beeinträchtigungen erlebt. Zu den häufigsten Beschwerden zählen Konzentrationsprobleme, körperliche und mentale Erschöpfung, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Hitzewallungen, starkes Schwitzen sowie ein vermindertes Selbstbewusstsein in Bezug auf die eigenen Fähigkeiten. In einigen Fällen kommen auch Ängste und depressive Verstimmungen hinzu.

Žiga Jereb ist Obmann der Männerberatung in Wien.

Martina Eberhart ist Psychotherapeutin und Coach mit Fokus auf die Wechseljahre.

Welche Rolle spielen dabei unverarbeitete Traumata?

Der sinkende Östrogenspiegel beeinflusst das Nervensystem und kann dazu führen, dass alte Ängste und emotionale Wunden wieder an die Oberfläche kommen. Frauen, die in ihrer Kindheit emotionalen oder körperlichen Stress erlebt haben, reagieren häufig stärker auf die hormonellen Veränderungen. Dies liegt daran, dass frühere traumatische Erlebnisse das Nervensystem dauerhaft in Alarmbereitschaft versetzen können, was in Zeiten hormoneller Schwankungen verstärkt zum Vorschein kommt.

Besonders Frauen mit einem sogenannten Entwicklungstrauma – das durch langanhaltenden Stress, Vernachlässigung oder Missbrauch entstanden ist – erleben die Wechseljahre oft als besonders herausfordernd. Gleichzeitig kann diese Phase aber auch eine wertvolle Gelegenheit sein, sich mit diesen Themen bewusst auseinanderzusetzen und durch therapeutische Unterstützung Heilung zu erfahren. Therapeutische oder coachende Begleitung unterstützt dabei, Veränderungen anzunehmen und eigene Bedürfnisse neu zu definieren. Methoden wie Trauma-Therapie, Achtsamkeitsübungen oder körperorientierte Ansätze können helfen, das Nervensystem zu stabilisieren und emotionale Altlasten zu verarbeiten.

Wie können jüngere Frauen lernen, die Wechseljahre als natürlichen Lebensabschnitt zu betrachten, anstatt sie zu fürchten?

Jüngere Frauen wachsen oft mit medialen Bildern auf, die die Wechseljahre als reine Zeit des Verlusts darstellen: Bilder von mürrischen Frauen, genervt von Hitzewallungen, die sich altersbedingt aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen. Solche Stereotype prägen das Bild dieses Lebensabschnitts negativ und schüren Ängste. Tatsächlich aber sind die Wechseljahre ein natürlicher biologischer Prozess, den jede Frau erleben wird – und der viel mehr Facetten hat, als oft dargestellt wird.

Je früher Frauen über die Wechseljahre informiert sind, desto weniger Unsicherheiten entstehen. Wer sich rechtzeitig mit dem Thema auseinandersetzt, kann sich besser vorbereiten und eine realistische, positivere Einstellung entwickeln. Die Wechseljahre sind auch eine Zeit der Neuorientierung und Selbstermächtigung.

Was ist deine persönliche Geschichte? Wie hast du selbst die Wechseljahre erlebt?

Ich wuchs in einem Elternhaus auf, das von Gewalt und Angst geprägt war. Mein einziges Ziel war es, nicht aufzufallen, in der Hoffnung, dass mir nichts passiert. Dieses Gefühl, wenig wert zu sein, begleitete mich viele Jahre meines Lebens. Nach einem Burnout machte ich eine lebensverändernde Entscheidung: Ich begann eine Ausbildung zur Kunsttherapeutin und später zur Psychotherapeutin. Die Wechseljahre brachten alles, was ich jahrelang weggeschoben hatte, ans Licht. Mein Körper sagte mir deutlich: „Du kannst so nicht weitermachen.“ Anstatt mich gegen diesen Wandel zu wehren, stellte ich mich meinen Themen und begann, mich selbst an erste Stelle zu setzen. Heute sehe ich die Wechseljahre als eine Chance zur Heilung und zum Wachstum. In dieser Phase konnte ich mich neu kennenlernen, meine eigenen Bedürfnisse ernst nehmen und mein Leben in eine neue Richtung lenken. Heute habe ich eine neue Lebensperspektive gewonnen und festgestellt, dass ich keine Zeit mehr zu verlieren habe. Wenn ich noch etwas machen möchte, dann jetzt.

Das können wir tun, um das Thema stärker zu normalisieren:

  • Mehr Aufklärung: In Schulen, Medien und im Gesundheitswesen sollte das Thema Wechseljahre offen besprochen werden.
  • Bessere medizinische Betreuung: Ärzt:innen brauchen mehr Wissen, sollten stärker auf Wechseljahresbeschwerden eingehen und individuelle Lösungen anbieten.
  • Unterstützung am Arbeitsplatz: Betriebe können Maßnahmen ergreifen, um Frauen in dieser Lebensphase zu entlasten, z. B. durch flexible Arbeitszeiten.
  • Offene Gespräche fördern: Eine Gesellschaft, die das Altern und die Wechseljahre als natürliche Prozesse anerkennt, ermöglicht einen positiven Umgang damit.

Melde dich zu unserem Newsletter an:

 

Mit der Anmeldung zu unserem Newsletter akzeptierst du unsere Datenschutzrichtlinien.