Die Psychiatrie neu erfinden

In Wien eröffnet das dritte Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die ärztliche Leiterin Doris Koubek über Zwang in der Psychiatrie und was es bedeutet, nicht im Krankenhaus übernachten zu müssen.

Text: Jana Reininger
Foto/Collage: ZIMT Magazin/Canva AI

Datum: 26. Oktober 2023
Collage Ewald Lochner, PSD Wien, Credits: Karina Grünauer

ZIMT: Stadtrat Peter Hacker sagt, er könne sich vorstellen, dass die Psychiatrie in den nächsten Jahren völlig neu definiert werde. Immer mehr soll in Zukunft die Versorgung ambulant stattfinden, also so dass Patient:innen nicht im Krankenhaus übernachten müssen. Was bedeutet das für die Patient:innen?

Koubek: Das bedeutet, dass sie in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können. Dadurch können auch wir mit dem gewohnten Umfeld der Patient:innen arbeiten und dementsprechend passende Angebote setzen. Das ist unmittelbarer und direkter.

ZIMT: Warum ist das wichtig?

Koubek: Gerade für Kinder und Jugendliche kann die Dauer eines Aufenthaltes eine sehr lange Zeit in ihrer Entwicklung sein. Wenn ein 53-jähriger Mann an einem Burnout erkrankt und ein halbes Jahr zuhause verbringt, vergeht das für ihn schneller, als wenn eine 16-Jährige, die depressiv ist und sich selbst verletzt, es ein halbes Jahr lang nicht in die Schule schafft. Für eine 16-Jährige sind sechs Monate eine irrsinnig lange Zeit in ihrer Entwicklung. Letztlich ist ein halbes Jahr ja ein 32tel ihres Lebens.

ZIMT: Immer wieder berichten Patient:innen von Psychiatriepersonal, das ungeeignet für Menschen in verletzlichen Situationen scheint, unfreundlich ist und Patient:innen beunruhigt. Können Sie das im neuen Ambulatorium ausschließen?

Koubek: Ich lege für meine Mitarbeiter:innen die Hand ins Feuer. Wir haben gerade einige Wochen gemeinsam Konzepte überlegt und drei Tage lang Teamfindung gehabt. Die Mitarbeiter:innen sind nicht nur Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen, die unsere Patient:innen umfassend behandeln können, sondern auch empathisch, motiviert und engagiert.

ZIMT: Viele erkrankte Menschen sorgen sich, dass sie in einer Psychiatrie zu etwas gezwungen werden, das sie nicht tun möchten. Ist das hier der Fall?

Koubek: Nein, grundsätzlich nicht. Aber natürlich kann es in einer Behandlung zu Schwierigkeiten kommen. Ist ein:e Patient:in beispielsweise an einer Essstörung erkrankt, geht es natürlich darum, dass sie:er wieder zu essen beginnt. Das kann sie:er als sehr unangenehm oder gar als Zwang empfinden. Wir können nur Patient:innen behandeln, die auch ein Mindestmaß an Compliance, also die Bereitschaft, an der Behandlung mitzumachen, mitbringen. Das Gleiche gilt auch für die Angehörigen.

ZIMT: Gibt es Gefahr, dass ich hier gefangen werde? Kann ich die Behandlung auch wieder abbrechen, wenn ich gehen möchte?

Koubek: Ja, Sie können die Behandlung abbrechen und Sie werden sicher nicht gefangen. Aber die Behandlung verläuft im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich oft zwar bergauf gehend, aber in Wellen. Da ist es wichtig, immer wieder zu besprechen, wie der Weg weitergeht und wie man gemeinsam am Ziel dran bleiben kann. Unser Ziel im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich ist immer die Genesung und nie die Palliativmedizin, also die Behandlung von Krankheiten, die nicht mehr heilbar sind.

ZIMT: Wohin kann ich mich wenden, wenn ich im Ambulatorium behandelt werden möchte?

Koubek: Direkt ans Ambulatorium, die Telefonnummer ist 53 900, Montag bis Freitag von 08:00 bis 15:30 ist das Telefon offen. Oder wenn man schon in Behandlung ist, dann über die behandelnden Fachärzt:innen, Therapeut:innen, Psycholog:innen.

Dieser Beitrag wurde in bezahlter Kooperation mit den Psychosozialen Diensten Wien erstellt.

Infobox

Das Ambulatorium in der Lassallestraße in Wien eröffnet am 2. November 2023 und richtet sich an Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen bis zum 18. Lebensjahr. Anmeldungen können bereits jetzt vorgenommen werden. Unter der Telefonnummer 53 900 sind die Mitarbeiter:innen des Ambulatoriums montags bis freitags zwischen 08:00 Uhr und 15:30 Uhr erreichbar.

Weitere Beiträge

Der fremde Vater: Clara

Der fremde Vater: Clara

Durch Zufall erfährt Clara, dass ihr Vater nicht ihr leiblicher Vater ist. Der Betrug belastet die Beziehungen in ihrer Familie.