C. G. Jung: Was erzählen meine Träume?

Zu den Klassikern der Traumdeutung zählt Carl Gustav Jung. ZIMT hat sich zwei seiner Werke angesehen.
Text: Jana Reininger
Bild: Jana Reininger/ZIMT Magazin/AI-Generator: Canva
Datum: 4. Juli 2023
Collage Ewald Lochner, PSD Wien, Credits: Karina Grünauer
Die Suche nach der Bedeutung von Träumen beschäftigt die Menschheit schon lange. Bereits in den Aufzeichnungen griechischer Philosophen findet man Überlegungen dazu. Viele der Fragen, die damals gestellt wurden, sind jedoch bis heute ungeklärt. Macht man sich auf die Suche nach modernen Zugängen zum Träumen in der Wissenschaft, kommt man an jenen Männern, die als Klassiker gelten, nicht vorbei: Sigmund Freud und Carl Gustav Jung. ZIMT hat sich zwei Werke angesehen: „Der Mensch und seine Symbole“ von Jung und seinen Kolleg:innen und „Archetypen. Urbilder und Workkräfte des kollektiven Unbewussten“ von Jung.

Geht es nach dem Schweizer Psychiater, sind Träume von großer Bedeutung: Sie dienen dazu, unser psychisches Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, also unbewusste Inhalte, wie Wünsche, Träume und Bedürfnisse, mit unserer alltäglichen Lebensweise in Einklang zu bringen. Oft wollen unsere nächtlichen Erlebnisse uns etwas mitteilen. Was konkret hinter dem Mitteilungsbedürfnis liegt, lässt sich aber nicht allgemeingültig sagen, denn: Nicht für jeden Menschen haben die gleichen Symbole auch die gleichen Bedeutungen. Vielmehr entstehen diese aus der Lebenssituation der Träumenden selbst.

Keine Anleitungen

„Ein blosses (sic!) Bild ist nur eine Wortillustration ohne besondere Folgen. Wenn das Bild aber mit Emotion geladen ist, gewinnt es an Numinosität (oder psychischer Energie); es wird dynamisch und hat zwangsläufig Wirkungen.”

Wer also auf der Suche nach konkreten Übersetzungsanleitungen seiner Träume ist, wird nun enttäuscht. Um seine eigenen Träume zu analysieren, so meint Jung, muss man sich erst einmal ausgiebig mit ihnen auseinandersetzen. Mit ein bisschen Übung und dem richtigen, ganz individuellen „Schlüssel” sei es schließlich jeder:m möglich, ihre:seine Träume lesen zu lernen. Doch wer sich psychisch instabil fühlt, sollte aufpassen. Nicht selten bringen Träume Dinge zum Vorschein, die unangenehme Gefühle mit sich bringen.

Auch wenn ein individueller Schlüssel gefragt ist, versucht sich Jung gleichzeitig daran, bestimmte Urbilder der Menschheit, sogenannte Archetypen, zu identifizieren, die für viele Personen ähnliche Bedeutungen haben. Dazu zählen etwa die folgenden Beispiele:

Fliegen oder Fallen

Vom Fliegen oder Fallen, so ist sich Jung sicher, träumen oft Menschen, die große Pläne verfolgen oder gar unrealistische Ziele hegen. Der Traum warnt häufig vor Selbstüberschätzung und den Gefahren und Unfällen, die durch solche Unvorsichtigkeiten passieren können. Der Schweizer Arzt erzählt in dem Zuge von einem Patienten, der ein großer Bergsteiger werden wollte. Immer wieder träumte er vom Fallen, ignorierte diese Anzeichen jedoch. Ein halbes Jahr später verunglückte er in den Bergen.

 

Träume vom Fallen oder Fliegen versuchen die Schlafenden oft vor kommenden Ereignissen zu warnen, so Jung.

Wiederkehrende Träume

Immer wiederkehrende Träume versuchen, die Schlafenden darauf hinzuweisen, dass bestimmte Lebenseinstellungen nicht stimmig sind. Sie können aber auch aus traumatischen Erlebnissen stammen oder sogar einem wichtigen Ereignis vorangehen, so Jung. Der Psychiater selbst träumte immer wieder von einem Haus mit einer Bibliothek, in der er alte, symbolische Bücher entdeckte. Erst als er eines Tages wirklich ein altes Buch gefüllt mit Symbolen erhielt, erkannte er, dass der Traum ihm bereits vorausgesagt habe, dass er sich mit diesen einst beruflich beschäftigen werde.

Freund:innen und Verwandte

Sehen wir in Träumen bekannte Gesichter, stehen diese oft nicht wirklich für die Person, für die wir sie halten, sondern eher uns selbst. Bestimmte Anteile von uns selbst treten dann in Form einer Person auf, die genau diese Eigenschaften vertreten. Träumst du also beispielsweise von einer Freundin, die besonders hilfsbereit ist, trittst du möglicherweise eigentlich mit einer hilfsbereiten Seite von dir selbst in Verbindung.

Aber Achtung!

Jungs Werke sind bereits mindestens 60 Jahre alt und haben im Laufe der Zeit nicht wenig Kritik erfahren. Auch wir empfehlen, beim Lesen stets kritisch zu bleiben. Jungs Überlegungen sind durchaus spannend und für Menschen, die sich tiefergehend mit Träumen auseinandersetzen möchten, fast schon Pflichtlektüre.

Gleichzeitig stoßen immer wieder Sätze unangenehm auf. Sie enthalten rassistische, sexistische oder klassistische Aussagen – etwa, wenn Jung impliziert, eine Frau wäre nicht vergewaltigt worden, hätte sie auf die Warnung ihres Traumes gehört, der sie davon abhalten wollte, alleine in den Wald zu gehen – oder wenn er Haitiianer:innen als primitives Volk bezeichnet. Man bedenke: Jungs Werke sind mindestens 60 Jahre alt.

Freund:innen und Bekannte in Träumen verkörpern laut Jung oft die schlafende Person selbst.
Ganz zu verwerfen sind Jungs Überlegungen deshalb nicht. Zu empfehlen ist aber, sie mit modernen Gegenstimmen abzugleichen und beim Lesen stets kritisch zu überlegen, welche Inhalte sinnvoll erscheinen – und welche weniger.

Viele Forscher:innen sind heute der Meinung, dass uns Träume helfen, Emotionen zu regulieren. Andere Wissenschaftler:innen sind davon überzeugt, dass die Bilder, die wir nachts sehen, wild zusammengewürfelt sind und keinerlei Sinn ergeben. Wieder weitere Theoretiker:innen sind der Meinung, dass uns das Reden über Träume hilft, Zusammenhalt zu finden und der eigentliche Zweck des Träumens folglich im Gemeinschaftsgefühl mit anderen liegt. Was ist es nun wirklich? Die Frage danach wird die Menschheit vermutlich noch lange begleiten.

Die Bilder dieses Schwerpunktes wurden mithilfe künstlicher Intelligenz hergestellt. Der surreale Stil und die unklaren Silhoutten des künstlichen Bildes symbolisieren die Eindrücke, die Träume oft hinterlassen.