Was sind eigentlich Antidepressiva?
Text: Jana Reininger
Illustrationen: Sabrina Haas
Was sind Antidepressiva?
Antidepressiva sind Psychopharmaka, also Medikamente, die auf die Stimmung und den Antrieb eines Menschen einwirken. Sie werden zur Behandlung von Depressionen angewendet. Oft werden sie aber auch in anderen Bereichen eingesetzt: bei Angst- und Zwangsstörungen, bei Panikattacken, Schlafstörungen oder PMS, bei Essstörungen oder chronischen Schmerzen.
Welche Arten von Antidepressiva gibt es?
Es gibt viele verschiedene Arten von Antidepressiva, etwa Sertralin, Mirtazapin oder Duloxetin. Die Präparate haben unterschiedliche Wirkungsweisen und werden dementsprechend in folgende unterschiedliche Gruppen eingeteilt:
- ASRI: Allosterischer Serotonin-Wiederaufnahmeinhibitor
- SSRI: Selektiver Serotonin-Wiederaufnahmeinhibitor
- SNRI: Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmeinhibitor
- GM: Glutamat-Modulator
- NaSSA: Noradrenalin- und Serotonin-spezifisches Antidepressivum
- SARI: Serotoninantagonist und Wiederaufnahmeinhibitor
- NARI: Noradrenalin-Wiederaufnahmeinhibitor
- NDRI: Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahme-Hemmer
- RIMA: Reversibler Monoaminooxidase-A-Inhibitor
- Trizyklika
Wie funktionieren Antidepressiva?
Um im menschlichen Gehirn Signale von einer Nervenzelle (Neuron) auf die nächste zu übertragen, werden verschiedene Neurotransmitter in einen Spalt zwischen zwei Nervenzellen, den sogenannten synaptischen Spalt, ausgeschüttet.
Die erste Nervenzelle, die den Neurotransmitter ausschüttet, wird dabei als präsynaptisches Neuron bezeichnet und die zweite Nervenzelle, an die das Signal übertragen werden soll, als postsynaptisches Neuron.
Ein im Gehirn sehr häufig vorkommender Neurotransmitter ist das Serotonin, im Volksmund auch fälschlich als „Glückshormon“ bezeichnet. Fälschlich ist das deshalb, weil Neurotransmitter keine Hormone sind, Serotonin noch wesentlich mehr Aufgaben im Körper hat und auch das empfinden von Glück nicht auf einen einzelnen Neurotransmitter runtergebrochen werden kann.
Serotonin liegt im Normalfall im präsynaptischen Neuron in Speichervesikeln vor. Das kann man sich wie kleine Bläschen voller Serotonin vorstellen. Dort wartet das Serotonin auf seinen Einsatz. Wenn das präsynaptische Neuron nun erregt wird und den Reiz an das nächste Neuron weiterleiten möchte, dann wird Serotonin aus den Speichervesikeln des präsynaptischen Neurons in den synaptischen Spalt abgegeben.
Am postsynaptischen, also am zweiten Neuron befinden sich Serotoninrezeptoren, an die das ausgeschüttete Serotonin nun bindet. Dadurch werden innerhalb des postsynaptischen Neurons weitere Prozesse ausgelöst und das Signal von einer Nervenzelle auf die andere übertragen.
Das verwendete Serotonin wird anschließend wiederverwertet und über den sogenannten Serotonintransporter wieder in das präsynaptische (erste) Neuron aufgenommen, um dort in Speichervesikeln für seinen nächsten Einsatz bereitzustehen.
Es gilt als gesichert, dass bei Menschen, die an Depressionen erkrankt sind, Neurotransmitter wie Serotonin und Noradrenalin in zu geringer Konzentration zur Verfügung stehen. Aktuelle medikamentöse Therapien zielen darum darauf ab, diese Konzentrationen im Gehirn zu erhöhen. Wie genau die antidepressive Wirkung durch die Erhöhung der Neurotransmitterkonzentrationen zustande kommt, ist noch nicht vollständig geklärt. Es spricht jedoch vieles dafür, dass es sich um einen indirekten Wirkmechanismus handelt.
Das bedeutet, dass durch die Erhöhung der Neurotransmitterkonzentrationen weitere Prozesse in Gang gesetzt werden, die erst den eigentlichen antidepressiven Effekt bewirken. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, warum die Wirkung von herkömmlichen Antidepressiva oft erst mit einigen Wochen Verzögerung einsetzt.
Die neuere Forschung beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Entwicklung von schneller wirksamen Antidepressiva, die über einen direkteren Weg ihre antidepressive Wirkung entfalten. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der NMDA-Antagonist Ketamin, der aktuell bei therapieresistenten Depressionen zum Einsatz kommt. Zurzeit befinden sich zahlreiche unterschiedliche Klassen von Antidepressiva im Einsatz, die jeweils unterschiedliche Wirkmechanismen und Nebenwirkungsprofile aufweisen.
Eine der am häufigsten verordneten Substanzklassen stellen die SSRIs (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) dar. SSRIs binden an den Serotonintransporter, der für die Wiederaufnahme des Serotonins in das präsynaptische Neuron zuständig ist. Damit hemmen sie die Wiederaufnahme von Serotonin aus dem synaptischen Spalt.
Folglich kommt es zu einer höheren Konzentrationen von Serotonin im synaptischen Spalt, das zusätzlich länger dort verbleibt. Dadurch kommt es zu einer erhöhten Bindung von Serotonin an die Serotoninrezeptoren des postsynaptischen, zweiten Neurons, wodurch dieses stärker aktiviert und die Signalübertragung verbessert wird.
Wie SSRIs, die häufigsten Antidepressiva, im Körper wirken
Gibt es auch Antidepressiva ohne Nebenwirkungen?
Nein, kein Medikament kann mit Garantie ohne Nebenwirkungen funktionieren. Allerdings sind die Nebenwirkungsprofile zwischen den verschiedenen Antidepressiva sehr unterschiedlich. Manche der Medikamente weisen stärkere Nebenwirkungen auf, als andere. Vor allem die älteren Antidepressiva (MAO-Hemmer und trizyklische Antidepressiva) weisen stärkere Nebenwirkungen auf, weswegen sie heute nur noch in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen.
Je unspezifischer ein Antidepressivum wirkt und somit umso mehr Systeme beeinflusst, desto stärker können seine Nebenwirkungen ausfallen. SSRIs, die, wie der Name schon sagt, selektiv nur die Wiederaufnahme von Serotonin beeinflussen, werden darum als eher nebenwirkungsarm gesehen. Das Risiko für Nebenwirkungen hängt auch immer mit der verabreichten Dosis zusammen. Letztlich ist es jedoch von Mensch zu Mensch unterschiedlich, wie eine Person auf ein bestimmtes Antidepressivum in einer bestimmten Dosierung reagiert. Daher kann es manchmal eine Weile dauern, das richtige Präparat und die richtige Dosierung für einen persönlich zu finden.
Machen Antidepressiva abhängig?
Wenn man in der Medizin von Abhängigkeit spricht, muss man zwischen körperlicher und psychischer Abhängigkeit unterscheiden. Körperliche Abhängigkeit bedeutet, dass sich der Körper an einen Stoff gewöhnt und man Entzugssymptome bekommt, wenn man den Stoff plötzlich nicht mehr zuführt. Das passiert beispielsweise bei Alkohol. Psychische Abhängigkeit bezeichnet das Suchtpotenzial. Wenn Mediziner:innen von Abhängigkeitspotential reden, ist in erster Linie die körperliche Abhängigkeit gemeint, die schwere Folgen haben kann.
Antidepressiva machen nicht psychisch abhängig. Wenn du sie rasch absetzt, wirst du kein Verlangen verspüren, sie wieder einzunehmen. Du kannst aber sehr wohl einen körperlichen Entzug spüren. Deshalb ist es wichtig, jegliche gewünschte Änderungen der Einnahme deiner Antidepressiva gründlich mit deiner:m Ärzt:in zu besprechen.
Quellen
-
Aktories et al. 2013. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. Urban & Fischer: München
-
Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. 2021. Abhängigkeitsformen. Online: https://www.oesterreich.gv.at/themen/gesundheit_und_notfaelle/sucht/1/Seite.1520130.html?fbclid=IwAR0f51oIRzRplWgfYXxgxYZab5jkG_MAlsQpJ6y1kcnC4X0kZetXfxTAHDs Zugegriffen: 23.02.22
-
Kasper S, et al.: Therapieresistente Depression: Diagnose und Behandlung, Konsensus-Statement. Sonderheft JATROS Neurologie & Psychiatrie, März 2021. Online: https://oegpb.at/wp-content/uploads/2021/04/OGPB_Konsens_Depression_2019.pdf?fbclid=IwAR0pBRzIiBuI_AcQJj0lYmBzP1JUbktboruWC4ZQ6sucS0Y1wPzeCFGlW14 Zugegriffen: 23.02.2022
-
Pro Psychotherapie e.V. 2022. Antidepressiva. Anwendungsgebiete und Wirkweise. Online: https://www.therapie.de/psyche/info/index/therapie/psychopharmaka/antidepressiva/?fbclid=IwAR1RENnOxNLCpeEGUeU0-Cu3nJR7VuF41B5mUT6L51qc2jNIG_8hoynvN1Y Zugegriffen: 23.02.2022