Auf Kosten der Menschen

Lisa Brunner, Obfrau der Österreichischen ARGE Suchtvorbeugung, über die Gefahren des Glücksspiels, Gamification im Alltag und warum der Staat Österreich kein Interesse daran hat, Spielsucht einzudämmen.

Text: Karina Grünauer
Illustrationen: Wiebke Bolduan
Foto: Julian Moise

Datum: 8. Oktober 2024
Casino Gebäude legt Arm um traurigen Menschen, Bild Credits: Wiebke Bolduan

Spielen erfüllt in der menschlichen Entwicklung eine zentrale Funktion: Es dient dem Lernen von Fähig- und Fertigkeiten, dem sozialen Miteinander und obendrein macht es Spaß – und zwar bis ins hohe Lebensalter. Für ungefähr 350.000 Österreicher:innen ist Spielen aber kein netter Zeitvertreib mehr, sondern eine Suchterkrankung. ZIMT hat mit Lisa Brunner, Obfrau der Österreichischen ARGE Suchtvorbeugung, gesprochen – über die Gefahren des Glücksspiels, Gamification im Alltag und warum der Staat Österreich kein Interesse daran hat, Spielsucht einzudämmen.

ZIMT: Wenn ich den ganzen Tag zocke, spiele ich dann nur gern oder bin ich vielleicht schon süchtig? Wo ist der Unterschied?

Lisa Brunner: In Österreich sind zwei bis vier Prozent der Bevölkerung pathologische Glücksspieler:innen. Das ist dann der Fall, wenn ich so spiele, dass ich andere Verpflichtungen vergesse, Schulden aufbaue, negative körperliche und psychische Konsequenzen wahrnehme. Wenn ich in dieser Form über ein Jahr spiele, dann hängt meistens die ganze Existenz dran. Deswegen gehen gerade beim Thema Glücksspiel häufig weitere psychische Belastungen mit einher. Es kommt oft zu suizidalen Episoden oder Gedanken, Depression oder Angststörungen.

Was sind die Motive hinter so einem exzessiven Spielen?

Menschen, die pathologisch spielen, spielen oft, um Stress abzubauen, psychische Probleme zu bewältigen oder um sich abzulenken. Das heißt, sie spielen mit dem Ziel, unangenehmen Gefühlen zu entkommen, mit denen sie sich auseinandersetzen müssten. Das ist eine ganz andere Motivation als bei Personen, die einfach sagen: Ich mache es, weil es lustig ist und Freude macht.

Es heißt immer wieder, es sei Veranlagung, ob man von etwas süchtig wird. Ist die Neigung zur Sucht etwas, das man vererbt bekommt?

Zwar sind gewisse Veranlagungen zu Suchtverhalten auch in der Persönlichkeit eines Menschen verankert, ob jemand eine Abhängigkeitserkrankung entwickelt, ist aber von vielen Faktoren auf mehreren Ebenen abhängig. Risikofaktoren sind bspw. Armut, geringere Bildung, schlechtes Schulklima, familiäre Einflüsse, instabile Bindungserfahrungen oder fehlende soziale Teilhabe. Aus gesundheitspolitischer Sicht ist es notwendig, gesetzliche Regulierungen einzuführen, die diese und weitere Risikofaktoren betreffen.

Was meinen Sie damit?

Gerade Gesundheit und Soziales sind hochpolitische Agenden, weil die Regierung, der Staat, die Gesellschaft vorgeben können, wo öffentliche Gelder hinfließen und Gesetze regulieren. Bei Glücksspiel und Sportwetten steht eine milliardenschwere Industrie dahinter, die Macht ausübt und die den meisten Umsatz mit denjenigen macht, die pathologisch wetten. Wenn der Staat das priorisiert, geht das auf Kosten von anderen Bereichen.

Was macht Glücksspiel so gefährlich?

Bei Alkohol gibt es unterschiedliche Gesetze, an die sich Hersteller und Unternehmen im Verkauf halten müssen. Beispielsweise muss angegeben sein, wieviel Alkohol in den jeweiligen Getränken enthalten ist. Wenn ich ein Bier kaufe, sehe ich genau, was in der Flasche ist. Und beim Glücksspiel oder bei Sportwetten ist es so: Ich weiß nicht, was die Dynamik dahinter ist. Ich kenne die Software ja gar nicht. Wir glauben weiterhin, dass beim Automaten als nächstes doch endlich drei Kirschen auftauchen müssen, weil es ja schon sieben Mal knapp war.

So geraten viele direkt in die Abwärtsspirale der Spielsucht, ein Ausweg ist nicht so einfach. Zum Beispiel muss man sich in Österreich bei den Glücksspielanbietern ja selbst sperren lassen, damit man nicht mehr spielen darf…

Genau. Es ist erstaunlich, dass eine Person, die eine diagnostizierbare Abhängigkeit hat, selbst dafür Sorge tragen muss, nicht mehr zu spielen, indem sie sich bei allen Anbieter:innen einzeln sperren lassen muss. Bei Online-Games geht nicht einmal das. Dass das System da keine Hilfestellung oder einen Rahmen gibt, wie es bei anderen gesundheitspolitischen Themen sehr wohl der Fall ist, ist unbegreiflich. Beim Thema Anschnallpflicht hätte man auch sagen können: Die Leute, die bei Unfällen keine Verletzung haben oder überleben wollen, sollen das selbst entscheiden. Die Gesellschaft und die Politik haben Verantwortung. Entsprechende Gesetze müssen so gestaltet werden, dass sie Menschen einen gesunden Rahmen bieten.

Lisa Brunner, Obfrau der Österreichischen ARGE Suchtvorbeugung

Lisa Brunner leitet das Institut für Suchtprävention der Sucht- und Drogenkoordination Wien und ist Obfrau der Österreichischen ARGE Suchtvorbeugung, dem Zusammenschluss der Suchtpräventionsstellen in Österreich, Südtirol und Liechtenstein.

In ihren Funktionen widmet sie sich der strukturellen Weiterentwicklung der österreichischen Suchtprävention, der Entwicklung fachlicher Standards, der Vernetzung mit relevanten Stakeholdern, der Interessensvertretung suchtpräventiver Anliegen und vielem mehr.

Dieser Beitrag ist in bezahlter Zusammenarbeit mit der Sucht- und Drogenkoordination Wien entstanden.

Mensch schiebt Arm von Casinogebäude kraftvoll weg. Bild Credits: Wiebke Bolduan

In Österreich wird von Betroffenen besonders viel Eigeninitiative gefordert, um der Spielsucht zu entkommen.

Wie könnte ein gesetzlicher Rahmen aussehen, der die Menschen besser schützt?

Der Staat kann eingreifen und den Unternehmen Grenzen setzen, um den Spieler:innenschutz ernst zu nehmen. Maßnahmen zum Schutz können beispielsweise sein, Werbung zu limitieren, Abgaben zu erhöhen oder ein anbieter:innenübergreifender Sperrverbund für Spielende. Es gibt aktuell nicht einmal eine Spielschutzbehörde, die Regeln für Spielanbieter:innen aufsetzt und kontrolliert. Oder auch Sportwetten, die längst unter das Glücksspielgesetz fallen müssten, aber in Österreich noch nicht einmal als Glücksspiel gelten. Ein umfassendes Positionspapier mit konkreten Handlungsforderungen, was es für eine solide Gesetzgebung im Sinne des Spieler:innenschutzes bräuchte, liegt der Politik seit Jahren vor. Das liegt aber in der Schublade und findet keine Anwendung. Kanada, UK, Deutschland und auch die Schweiz sind viel weiter.

Auf diese Weise könnten also Unternehmen adressiert werden. Wie kann gute Prävention für potentiell betroffene Menschen funktionieren?

Eine gute Gesundheitspolitik kann dafür sorgen, dass das gesunde Verhalten das intuitivere ist und man das schädliche Verhalten infrage stellt. Ursachenorientierte Suchtprävention beginnt im Kindesalter. Es geht um die Förderung von Lebenskompetenzen. Die schützen vor Sucht, Gewalt oder auch Suizid. Ab dem Jugendalter spielt auch Risikokompetenz eine große Rolle.

Gerade bei Online-Games wenden Spieleanbieter verschiedene psychologische Tricks an, damit man beim Spielen bezahlt, um weiterzukommen. Dabei hat das Unternehmen dahinter kein Interesse daran, dass ich Level 12.736 erreiche, sondern immer wieder im Spielverlauf stecken bleibe. Wie wirksam oder wie nützlich ist es, konkret über diese Mechanismen aufzuklären?

Interessante Frage. Rein aus der Forschung wissen wir, dass im Bereich von Suchtverhalten oder von Dingen, die impulsgesteuert sind, reine Wissensvermittlung kein Schutz ist. Das heißt, große Info-Kampagnen, nach denen oft gerufen wird, bringen alleine herzlich wenig. Die vorher angesprochenen Life Skills und Lebenskompetenzförderung, das sind protektive Faktoren. Denn Suchtverhalten oder Substanzkonsum hat immer mit eigenen Motiven und subjektiven Erwartungen zu tun. Sei es die Hoffnung auf einen Gewinn oder die soziale Akzeptanz, weil es in meinem Umfeld ganz normal ist zu spielen.

Wenn ich vermute, dass ich spielsüchtig sein könnte, wohin wende ich mich?

Es gibt in Österreich verschiedene Anlaufstellen für Betroffene. Dabei gibt es die Möglichkeit einer ambulanten und stationären Therapie. Häufig kommen Menschen erst mit einem sehr hohen Leidensdruck, wenn auch das Umfeld schon stark unter der Spielsucht gelitten hat. Die Betroffenen sind beispielsweise hoch verschuldet, sozial isoliert und finden aus eigener Kraft keinen Ausweg mehr. Manche kommen auch über die Schuldnerberatung. In jedem Fall muss individuell geschaut werden, was die Problemlagen sind.

Vermutest du, von Spielsucht betroffen zu sein?

Einen Selbsttest sowie Onlineberatung findest du bei der Spielsuchthilfe unter spielsuchthilfe.at.
Unterstützung als Betroffene:r bekommst du im Programm genuggespielt.at der Sucht- und Drogenkoordination Wien.