Wie ein Porsche, der nicht anspringt
In ihrem Text „Wie ein Porsche, der nicht anspringt“ schreibt Lilith Noah über Libidoverlust als Nebenwirkung von Antidepressiva.
Gedicht: Lilith Noah
Foto: Sofia Rohnefeld
Ich sitze in meinem Bett. Neben mir ein Vibrator, auf dem Holztisch ein Glas Wasser und eine weiße Kartonbox. Davor, in Plastik und silberner Folie, kleine helle Tabletten. „Sertralin“ steht in kleinen, schwarzen Buchstaben auf der weißen Verpackung. Lust und Leere, Depression und Stimulation. Der Vibrator ist so leer, wie ich mich fühle.
Zum ersten Mal bei einem Psychiater war ich mit 20 Jahren. Ich habe ihm, extrem nervös, von meiner Depression erzählt. Er hat mich daraufhin gefragt, ob ich genug Gemüse esse und genug Sport mache. Ich habe mich daraufhin gefragt, ob dieser Mann auch wirklich den Doktortitel hat. Er hat mir damals eine leichte depressive Verstimmung diagnostiziert und Sertralin verschrieben, ein Antidepressivum aus der Wirkstoffgruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI), das wird zur Behandlung von Depressionen, Panik- und Angststörungen sowie posttraumatischen Belastungsstörungen angewendet.
Im Bettdecken-großen Beipackzettel stehen dann erst mal alle Nebenwirkungen: von Mundtrockenheit über Schwindel und Schlafstörungen bis hin zu, ganz unten, wie in einem Nebensatz: Störungen der Sexualfunktion. Noch besser wird es, wenn man die Nebenwirkungen auf Google recherchiert: Hier wird teilweise nur auf die sexuellen Nebenwirkungen bei Männern eingegangen und von „Ejakulationsstörungen bei Männern” geredet. Natürlich ist das genauso schlimm. Aber es gibt einem ein wenig das Gefühl, dass solche Nebenwirkungen wahrscheinlich nur bei Personen mit Penis auftreten und man sich als Person mit Vagina da gar keine Sorgen machen muss.
Mit dem Sertralin war ich erst mal zufrieden. Ich glaube, dass ich nach etwa einem Monat wirklich eine positive Wirkung gespürt habe, mir ging es allgemein einfach irgendwie besser. Ich hatte auch Anfangs keine Nebenwirkungen, dachte ich wenigstens. Auch zu einem Libidoverlust ist es nicht gekommen. Was außerdem nicht gekommen ist, war ich…. Heute kann ich darüber schmunzeln, aber damals war es für mich unglaublich frustrierend. Als würde man einen Porsche haben, der nur stottert aber nicht anspringt, als würde man sehen, dass es 30 Grad bekommt aber man den ganzen Tag arbeiten muss, als würde man eine Packung Pralinen bekommen aber feststellen, dass es die ekelhaften Gelee-Trockenfrüchte mit Schokoüberzug sind. Und sorry an alle, die die Dinger mögen. Ich mochte das nicht.
Und irgendwann stellt sich dann die Frage: Wechselt man die Medikamente, die einem eigentlich helfen, bei denen man aber diese Nebenwirkungen hat? Nehmen einen die Psychiater mit den Problemen ernst oder sagen sie, dass man mehr Sport machen und Brokkoli essen soll? Will man über die eigene sexuelle Gesundheit mit alten weißen Männern reden, die einen nicht ernst nehmen? Nachdem ich zu dem Zeitpunkt über unfreundliche männliche Psychiater ein Buch hätte schreiben können, war ich dann bei meiner Hausärztin.
Ich hab ihr mein Problem in zwei Minuten geschildert und neue Medikamente verschrieben bekommen, dann noch einmal neue, weil mir von den alten schwindelig wurde und dann irgendwann keine mehr. Therapie in Kombination mit Antidepressiva haben mir sehr geholfen, mit der mittlerweile als chronisch diagnostizierten Depression klarzukommen.
Ich will mit meiner Geschichte auf keinen Fall Antidepressiva verteufeln, das will ich am Ende klarstellen. Im Gegenteil: Sie haben mir geholfen, als ich sie gebraucht habe. Was ich sagen will ist, dass ich es schade finde, dass sexuelle Nebenwirkungen immer nur eine Fußnote sind, eine minor inconvenience, passiert halt, muss man akzeptieren. Dabei ist sexuelle Gesundheit so wichtig und ein großer Teil von mentaler Gesundheit. Wir müssen in der Gesellschaft klar machen, dass es okay ist, darüber zu reden: Vor allem mit Ärzt:innen. Und mit diesen habe ich nicht die besten Erfahrungen gemacht: Denn wenn dir, wie es mir einmal passiert ist, ohne Witz, ein Psychiater sagt, dass du ja komplett labil und gestört bist, weil du in einem eigentlich sicheren und vertrauensvollen Setting zu weinen beginnst, dann erzeugt das das Gegenteil von Vertrauen.
Mir ist klar, dass ich hier keine Psychiater*innen-und Ärtzt*innenreform starten kann. Aber ich will diese Plattform nutzen und offen über meine Erfahrung reden und will damit anderen vielleicht das Gefühl geben, dass sie nicht alleine sind und dass es besser wird.
Lilith Noah ist Wiener Autorin. Der Text ‚Wie ein Porsche, der nicht anspricht‘ ist im Zuge des Open Mic Events ‚Hast du Lust?‘ von improper walls und ZIMT entstanden.