Triggerwarnung

Der Artikel befasst sich mit dem Thema Depressionen. Bestimmte Inhalte oder Wörter können negative Gefühle oder Erinnerungen auslösen. Wir möchten dich darauf hinweisen, den Artikel nicht zu lesen, falls du dich heute nicht stabil genug fühlst.

Herausfinden, wie die Zeit verfliegt: Rita

Rita hat ein Burnout und Depressionen. Mit Therapie und Keramik findet sie wieder zu ihrer Gesundheit zurück.

Text und Fotos: Jana Reininger

Datum: 25. Januar 2022

Auf der Plattform der U-Bahnstation wuseln sich unzählige Menschen in dunklen Daunenjacken. Sie starren in ihre Smartphones, blättern in ihren Gratiszeitungen. Manche tragen Kopfhörer in den Ohren und wippen müde mit den Füßen im Takt. Auch Rita wartet unter ihnen auf die U-Bahn. Starrt auf die Gleise, Angst macht sich in ihr breit. Die Geräusche um sie herum werden dumpf, ihre Sicht verschwommen. „Ich hatte immer Angst, dass irgendwas passiert. Dass ich irgendwas mache, was ich nicht machen will“, erinnert sich Rita. Was wäre wenn? Was wäre, würde Rita jetzt zwei Schritte nach vorne machen? Was wäre, würde gleich alles vorbei sein? „Meine Psychotherapeutin hat das suizidale Tendenzen genannt.“

Rita ist auf dem Weg zur Arbeit. Sie ist Sozialarbeiterin, berät und begleitet in Wien jeden Tag Menschen, die Probleme mit ihrer Wohnung haben, die obdachlos oder von Obdachlosigkeit bedroht sind. Immer wieder hat die 29-Jährige dabei mit Menschen mit psychischen Erkrankungen zu tun. Einige davon schaffen es in depressiven Episoden nicht aus dem Bett, andere fühlen sich dumpf von beruhigenden Medikamenten, die sie nehmen. Als Rita selbst von einer psychischen Erkrankung betroffen ist, nimmt sie das erst einmal gar nicht wahr.

 

Durch die Pandemie in die Depression

Als die Pandemie über Österreich rollt, nehmen die Krisen von Ritas Klient:innen und somit auch ihre Wohnungsprobleme zu. Rita hat immer mehr Arbeit zu erledigen, versucht ihre Klient:innen immer mehr zu unterstützen, fühlt sich stetig unter Druck. Die Zeit reicht nicht aus, um Lösungen zu finden. Trotzdem möchte Rita für ihre Klient:innen da sein. „Irgendwann war dann alles zu viel. Dann habe ich über den Sommer gemerkt, dass es mir einfach gar nicht gut geht. Dass ich funktioniere und alles tu, aber mich nicht konzentrieren kann.“ Rita ist leicht gereizt und generell oft schlecht drauf. Sie ist ungeduldig und schnell mal von Klient:innen genervt. Sie vergisst Aufgaben, macht Fehler, ist sich gleichzeitig ihrer großen Verantwortung gegenüber den Menschen, mit denen sie arbeitet, bewusst. „Irgendwann hab ich mir schon gedacht, es gehe vielleicht in Richtung Depression. Aber dann dachte ich: sicher nicht, weil ich gehe in die Arbeit und schaffe es aus dem Bett raus. Ich dachte, ich übertreibe nur und darf mir das nicht zuschreiben. Eine Erkrankung wäre nur eine Ausrede dafür, dass es mir nicht gut geht und ich damit nicht umgehen kann.“

 

Isolation, Konflikte und Einsamkeit

Eine Weile reißt Rita sich zusammen. Sie fängt an, sich Gedanken ums Sterben zu machen. Fragt sich, was wäre, würde sie aus dem Fenster springen oder sich von der U-Bahn überrollen lassen. Sie zieht sich immer mehr zurück, sagt Treffen mit ihren Freund:innen ab und streitet immer öfter mit ihrem Freund. Als sie doch einmal einen Abend mit Freund:innen verbringt, geht es Rita schlecht. „Ich habe gemerkt, ich rede gar nichts mehr und lache nur mit den anderen mit. Aber eigentlich bin ich da irgendwo ganz tief in mir drinnen und krieg gar nichts mit, sondern tu nur so und sitz dabei. Es kommt nichts an mich ran und gleichzeitig frage ich mich: Wieso sieht niemand, wie schlecht es mir geht? – Und so habe ich mich noch mehr zurückgezogen. Dabei kann man ja niemandem einen Vorwurf machen, weil ich einfach wahnsinnig gut darin war, mich zu verstellen.“ Als Rita an diesem Abend die Wohnung ihrer Freundin verlässt, ist sie erschöpft. Sie ruft ihren Freund an und sagt: „Irgendwas stimmt nicht. Mir geht es absolut nicht gut. Ich kann nicht mehr. Ich verstelle mich die ganze Zeit. Es geht nicht mehr. Irgendwas muss jetzt passieren.“

Rita und Bucki in ihrem Wohnzimmer

Seit Rita in der Keramik Kraft gefunden hat, betreibt sie ihr eigenes Keramik Start Up, wo sie Tonwaren, wie Tassen, Teller und Seifenhalter verkauft. Wenn du Rita dabei unterstützen möchtest, schau doch mal auf @teardropceramics vorbei.

Rita (und Bucki) zuhause

Mit Auszeit, Therapie und Medikamenten zur Besserung

Rita geht weiterhin arbeiten, hofft auf Unterstützung im Job und merkt erst mit der Zeit, dass ihr das Arbeiten schadet. Rita geht zum Hausarzt und wird krankgeschrieben. Schon lange geht Rita einmal wöchentlich zur Psychotherapie. Nun beginnt sie zwei Mal pro Woche hinzugehen. Sie besucht eine Psychiaterin, die sie schon lange kennt. Die Ärztin vermutet ein Burnout und diagnostiziert Depressionen. Sie verschreibt Medikamente. Die Antidepressiva nimmt Rita ohne Bedenken, die Beruhigungsmittel nicht. „Da war die Hürde ganz groß, weil ich einfach so viele Klient:innen habe, die abhängig geworden sind.“ Rita hat Angst, abhängig zu werden, spricht lange mit der Psychiaterin darüber. Diese beruhigt Rita. Sie einigt sich mit Rita darauf, die Beruhigungstabletten nur zur Sicherheit bei sich zu haben.

 

Neubeginn

Drei Monate ist Rita im Krankenstand. Immer wieder denkt sie daran, zurück zur Arbeit zu gehen. Immer wieder merkt sie, dass sie es noch nicht schafft. Sie ist erschöpft und spürt, wie sehr sie die Zeit für sich selbst braucht. Sie bemüht sich, jeden Tag das Haus zu verlassen, sei es nur für kleine Einkaufsrunden. Versucht, Regelmäßigkeiten und Routinen aufzubauen, Dinge zu unternehmen, die ihr Spaß machen – Yoga etwa oder ein gemeinsames Essen mit einer Freundin. Sie trinkt weniger Kaffee und beginnt einen Töpferkurs. Dort merkt sie, wie viel Freude sie an der Arbeit mit den Händen findet. Sie genießt es, dabei nur sich selbst gegenüber Verantwortung zu haben, mit niemandem reden zu müssen und ohne Plan vor sich hin zu werken. „Es entsteht einfach etwas. Wenn ich im Studio bin, verfliegt die Zeit. Ich bin fünf Stunden dort und krieg es gar nicht mit, weil es Spaß macht. Erst nachher bin ich erledigt. Aber es ist eine gute Erschöpfung.“

Nach einiger Zeit fängt Rita wieder an zu arbeiten. Nur 20 Stunden pro Woche, die restliche Zeit verbringt sie mit anderen Dingen. Mit ihrem Master in Gender Studies beispielsweise – oder eben mit der Keramik. Sie fährt für einige Wochen auf Reha und beschließt, ein Jahr in Bildungskarenz zu gehen und sich eine längere Auszeit zu nehmen. Der Sozialarbeit möchte sie gar nicht den Rücken zukehren, aber mehr Kunst in ihr Leben bringen, mehr verfliegende Zeit, findet Rita schön.

Ritas Keramikkunst