Ignorierte Erkrankungen: Parnia

Parnia hat eine Krankheit. Doch weil sie eine Frau ist, wird sie nicht angemessen behandelt. Die Diskriminierung schlägt ihr auf die Psyche.

Text und Fotos: Jana Reininger

Datum: 7. März 2022

Seit vier Monaten hat Parnia Bauchschmerzen. Sie rutscht auf dem harten Stuhl in der Ordination eines Arztes hin und her. In den letzten vier Monaten hat Parnia mehr Ärzt:innen gesehen als jemals zuvor. Nun sitzt sie vor dem siebten Arzt, der keine Anstalten macht, Parnia umfassend zu untersuchen. „Stress vielleicht“, antwortet er nach einem kurzen Gespräch und sieht sie beinahe gelangweilt an. Während er mit Parnia spricht, sieht er kaum von seinem Computer auf. Als Parnia die Ordination verlässt, spürt sie die Wut zu Kopf steigen. Sie fühlt sich nicht ernst genommen und mit ihren Schmerzen im Stich gelassen.

 

Medizinische Diagnosen und Behandlungen sind für Männer einfacher

Einige Wochen später begleitet Parnia einen Freund ins Krankenhaus. Auch er hat Bauchschmerzen und Parnia weiß, wie schlimm das sein kann. Wie wichtig es ist, eine Diagnose zu bekommen. Bei ihm sorgen sich auch die Ärzt:innen. Sie sprechen lange mit Parnias Freund, machen Tests, schicken ihn in den Ultraschall. Die Liste der Untersuchungen ist endlos. Nach einigen Stunden folgt die Diagnose. „Sie haben zu viel Fleisch gegessen“, sagt die Ärztin und reicht Parnias Freund eine Schmerztablette.

Die Bauchschmerzen des Freundes vergehen. Parnias Schmerzen sind immer noch da. Ein weiteres Mal fühlt Parnia die Wut zu Kopf steigen. Warum bekommt sie keine so ausführlichen Untersuchungen? Erst ein paar Wochen später wird bei Parnia Morbus Crohn diagnostiziert, eine ernstzunehmende Entzündung im Magen-Darm-Trakt, die neben Bauchschmerzen auch Übelkeit und Durchfall hervorruft. Heilbar ist ihre Krankheit nicht.

„Es macht wütend, wenn man merkt, dass man bei Schmerzen und Gesundheit vernachlässigt wird“, sagt sie heute mit fester Stimme. „Dass man dafür kämpfen muss, eine Behandlung zu kriegen, die für andere ganz normal ist. Ich hab die Ärzt:innen damals quasi zwingen müssen, mich zu untersuchen.“ Wäre sie ein Mann, wäre das nicht der Fall, ist Parnia sich sicher.

Den Kampf um das medizinische Ernst-genommen- und Behandelt-werden kennt Parnia schon lange. Mit 28 Jahren wird sie mit Lipödem, einer chronischen Fettverteilungsstörung, die fast nur Frauen betrifft, diagnostiziert. Eigentlich hat sie die Erkrankung bereits seit ihrem 14. Lebensjahr. Behandlungen gegen das Lipödem werden in Wien von der Krankenkasse nicht gedeckt. Würde die Krankheit Männer betreffen, würde auch die Therapie finanziert, ist Parnia überzeugt.

Portrait von Parnia

Parnias Mutter ist Tirolerin, ihr Vater kommt aus dem Iran. Auch Parnia hat ihre ersten vier Jahre dort verbracht. Heute trägt sie ihre dichten, schwarzen Haare offen. Starke Augenbrauen umrahmen ihr Gesicht und ihre dunklen Augen halten einen festen Blick. Den Migrationshintergrund kann man ihr ansehen und auch ihr Name erzählt Geschichten vom Reisen. Wenn Parnia spricht, ist der Tiroler Akzent nicht zu überhören. Ihre Stimme ist tief. Sie klingt selbstsicher.

 

Doppelte Bevormundung

Immer wieder behandeln andere Menschen Parnia, als wüsste sie weniger vom Leben. Wenn Parnia in den Baumarkt geht, um Teile zu kaufen, die sie für ihr Architekturstudium braucht, stellen sich immer wieder Männer in ihren Weg. Die Verkäufer fragen sie, was sie suche, ob sie auch sicher richtig abgemessen habe und sich nicht im Gegenstand irre. Wenn Parnia am Ticketschalter der U-Bahn überlegt, welche Fahrkarte wohl die beste für sie wäre, erscheint schnell mal jemand neben ihr, der es besser weiß und, ohne zu überlegen, für Parnia auf den Screen drückt. Als Parnia einmal wieder morgens auf den Bus wartet, spricht sie ein Fremder an. Woher sie komme, fragt er und als Parnia antwortet, ihre Wurzeln liegen im Iran antwortet er: „Komisch, normalerweise sind persische Frauen schlank.” Er legt ihr nahe, Sport zu machen und auch für Parnias Ernährung hat er Tipps parat, nach denen Parnia nie gefragt hat. „Es ist manchmal schwierig zu differenzieren, ob man anders behandelt wird, weil man eine Frau ist, oder ob man anders behandelt wird, weil man einen ausländischen Namen hat,“ sagt sie heute.

Portrait von Parnia

Ihr Selbstbewusstsein hat Parnia sich hart erkämpft

Fest steht, dass die Ungleichbehandlung Spuren hinterlässt. Besonders als Kind und als Jugendliche, in einem Alter, in dem Parnia Diskriminierungserfahrungen noch nicht so gut reflektieren kann, fragt Parnia sich oft, ob sie an feindlichen Aussagen selbst schuld ist, ob sie etwas falsch gemacht hat und ob sie weniger wert ist als andere. „Ich bin mir sicher, dass es niemandem gut geht, wenn man dauernd denkt, dass man alles falsch macht. Das kann nicht einfach vorbeigehen an der Psyche.“

Wäre Parnias Selbstwert nicht von jungen Jahren an verletzt worden, wäre sie vielleicht an eine bessere Schule, schneller an die Universität gegangen und hätte rascher ihren Universitätsabschluss bekommen, sagt sie. Wäre sie nicht von Selbstzweifeln geplagt gewesen, hätte sie sich wahrscheinlich mehr darauf konzentriert, was sie kann. Trotzdem macht sie heute einen Bachelor in Architektur. „Aber ich hab die Berechtigung im Bildungssystem erkämpfen müssen.“

Auch im Erwachsenenalter bleibt die Frage nach der Schuld immer wieder hängen. Aber nun wehrt Parnia sich. Vergangenes Jahr hat sie einen offenen Brief an das Gesundheitsministerium geschrieben – im Namen aller Erkrankten ruft sie darin nach Behandlung des Lipödems auf Krankenkasse auf. Auf eine Antwort wartet sie bis heute.

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