Triggerwarnung

Der Artikel befasst sich mit dem Thema Panikattacken. Bestimmte Inhalte oder Wörter können negative Gefühle oder Erinnerungen auslösen. Wir möchten dich darauf hinweisen, den Artikel nicht zu lesen, falls du dich heute nicht stabil genug fühlst.

Wenn die Luft zum Atmen fehlt: Sothany

Sothany hat Panikattacken und erkennt sie lange nicht. Erst das Eingeständnis der Erkrankung bringt Besserung.
Text und Fotos: Jana Reininger
Datum: 19. April 2022
Die Zeilen vor Sothany Kims Augen verschwimmen. Ihre Kehle schnürt sich zu. „Schnappatmung. Ich fange an zu weinen. Ich vergesse alles um mich herum. Ich bekomme keine Luft mehr.“ Es ist das Jahr 2020 und Sothany sitzt im Home Office. Gerade noch hat sie per Mail eine schwierige Aufgabe aus dem Büro zugeschickt bekommen. Jetzt hat sie eine Panikattacke.

Von der Überlastung zur Panikattacke

Sothany ist 34 Jahre alt und eigentlich aus Deutschland. Vor fünfzehn Jahren ist sie zum Studieren nach Wien gekommen. Seitdem ist sie hier. Manchmal überlegt sie, woanders hinzuziehen. Letztendlich bleibt sie dann aber doch jedes Mal hier. Auch in Wien verändert sich das Leben. Vor einigen Monaten wechselte Sothany ihren Arbeitsplatz. Hin zu Projektmanagement in einem Medienhaus, weg aus dem Konzernbetrieb in einem toxischen Umfeld, in der das Arbeitsklima die Mitarbeiter:innen krank macht. Zu viel Druck aus der Chefetage, toxisches Arbeitsklima, Überforderung. Ihre erste Panikattacke hat Sothany mit etwa 30 Jahren, erzählt sie, während sie in einem lauten Gasthaus sitzt und einen Schluck Tee trinkt. Ernst nimmt sie die Anfälle erst nicht. „Ich dachte: Okay, ich hab gerade einen Nervenzusammenbruch und morgen ist dann alles wieder okay.“ Sothany hält ihre Attacken für ein Zeichen von Schwäche. Für etwas, an dem sie selbst schuld ist. Etwas, wo sie einfach stärker sein muss. Das wird sich ganz von selbst wieder unter Kontrolle bekommen, ist sich Sothany sicher.

Sothany in der Wiener Innenstadt

Panikattacken ziehen sich über Jahre

Über Jahre hinweg zeigen sich die Panikattacken nur selten. Erst im Jahr 2020, zwischen Corona und Home Office, nehmen sie zu. „Zuerst habe ich schon zwei Tage nach der einen Panikattacke wieder eine weitere bekommen, dann in kürzeren Abständen“, erzählt Sothany zwischen dem Scheppern von Geschirr und lauten Stimmen vom Nachbartisch. „Dann hab ich nach nur ein oder zwei Stunden neue Panikattacken bekommen.“ Und doch nimmt sie die Anfälle nicht ernst. Sothany erledigt ihre Aufgaben, hält die Arbeitszeiten aus, macht sich bereit für die nächsten Zoom-Meetings. „Ich hab die Kamera nicht angemacht und versucht, nicht viel zu sagen.“ Die nächsten Panikattacken folgen. Sothany läuft ins Schlafzimmer, versteckt sich neben ihrem Schrank. Will, dass sie niemand in ihrem Elend sieht, auch der eigene Freund nicht, der zum Glück untertags im Büro ist.

Ärzt:innenbesuch bringt Besserung

Einige Zeit vergeht, dann beschließt Sothany, dass es so nicht weitergeht. In der Praxis ihrer Hausärzt:innen wartet sie eine Weile. Sie ist froh, dass die anderen Patient:innen ihr den Besuchsgrund nicht ansehen. „Wahrscheinlich denken sie, ich hätte eine Erkältung“, beruhigt sie sich. Dann ist Sothany dran. Sie möchte der Ärztin ihr Problem erklären und kommt nicht mehr dazu. Sothanys Kehle schnürt sich zu. „Schnappatmung. Ich fange an zu weinen. Ich vergesse alles um mich herum. Ich bekomme keine Luft mehr.“ Die Ärztin greift ein, stellt ein Glas Wasser und Taschentücher zurecht. Sie stellt Sothany einfache Fragen zu ihrem Tag, um sie abzulenken. Sothany beruhigt sich. „Sie haben gerade eine Panikattacke gehabt“, erklärt die Ärztin. „Haben Sie das in letzter Zeit öfter?“ Sothany nickt. Viel sagen muss sie nicht mehr. „Die Ärztin hat sofort gewusst, worum es geht.“ Sie schickt Sothany zu einer Psychiaterin.

Sothany in der Innenstadt
Für sechs Wochen wird Sothany krankgeschrieben. Sie erhält leichte Antidepressiva, vor denen sie erst Angst hat. Sie sorgt sich, süchtig zu werden oder die Kontrolle über ihren Körper zu verlieren. Die Psychiaterin beruhigt sie, sagt ihr, dass das nicht geschehen werde. Und tatsächlich. Sothany geht es bald besser. Im Krankenstand erholt sie sich. Sie schaut Netflix und geht spazieren. Fängt an, ihrer engsten Freundin von ihrer Belastung zu erzählen. Dann dem Bruder und auch der Freund weiß rasch Bescheid. „Ich habe gelernt, dass Panikattacken eine Krankheit sind und keine komische Einbildung“, sagt Sothany. „Wenn du eine Erkältung hast, musst du zum Art gehen. Wenn du Panikattacken hast, eben auch.“
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Sothany empfiehlt für Situationen, in denen du nicht weiter weißt, den Sozialpsychiatrischen Notdienst. Du erreichst ihn in Österreich unter 0131330. Suchst du nach kostenlosen Beratungsangeboten außerhalb von Österreich? Schau mal hier hinein.

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