„Mein Körper konnte nicht, obwohl mein Kopf wollte“: Alexa

Nach Jahren des Stillstands durch Long Covid findet Alexa ihren Weg zur Selbstbestimmung.

Text: Karina Grünauer
Foto: Michaela Pranter Photography Collage: Jana Reininger da Rosa / ZIMT Magazin, generiert mit Hilfe von ChatGPT und DALL·E, OpenAI (2025)

Datum: 24. April 2025
Simone_Portrait ZIMT Magazin

Alexa liegt in ihrem Bett in Wien. Sie ist zum ersten Mal seit Tagen wieder halbwegs bei Bewusstsein. Die akute Covid-Infektion hat sie körperlich stark mitgenommen – mit hohem Fieber, Atemnot und starker Erschöpfung. Der Fernseher läuft, doch sie nimmt nichts wahr. Ihr Herz rast, der Kopf ist benebelt. Jeder Muskel tut weh. Wenn Alexa an diese Zeit zurückdenkt, erinnert sie sich an vieles nicht mehr, nur daran, dass ihr Körper einfach nicht mehr funktionierte.

Wie fühlt es sich an, wenn eine Erkrankung ein ganzes Leben entkernt? Wenn keine Kraft mehr da ist fürs Zähneputzen im Stehen. Wenn der eigene Körper plötzlich Dinge verweigert, die früher völlig normal waren. Alexa Stephanou erinnert sich noch genau an die Ohnmacht der ersten Monate. Ihre Covid-Infektion im März 2020 fühlte sich schwer an, auch wenn nach offizieller Definition ihr Verlauf nur moderat war. Die Folgen, die blieben, waren schlimmer: Erst Long Covid – eine Folgeerkrankung, bei der Erschöpfung, Atemnot und Konzentrationsprobleme nicht mehr verschwinden. Später stand die Frage im Raum, ob es sogar ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) sein könnte, bei dem bereits kleine Anstrengungen den körperlichen Zustand massiv verschlechtern können.

Fünf Jahre später spürte die 41-Jährige immer noch die Folgen der Krankheit. „Ich bin seitdem arbeitsunfähig“, erzählt sie. Ihre frühere Karriere musste sie aufgeben, doch sie hat sich in eine neue Ausbildung als Ghostwriterin gestürzt – ein Versuch, irgendwann wieder eigenes Geld verdienen zu können und sich ein Stück Normalität zurückzuerobern.

Doch das Leben mit Long Covid ist alles andere als normal. Alexa musste ihre Wohnung aufgeben, zu ihrer Mutter ziehen. „Das war eine finanzielle Notwendigkeit“, erklärt sie. Die Unsicherheit und die fehlende gesellschaftliche Anerkennung ihrer Krankheit belasten sie zusätzlich.

 „Ich konnte nichts mehr. Und ich wurde nicht ernst genommen.“

Nach ihrer Akuterkrankung wartet Alexa auf Erholung. Doch die bleibt aus. Stattdessen verschlimmern sich die Beschwerden. Brain Fog – als würde der Kopf in Watte liegen. Tinnitus. Kreislaufprobleme. Ein beängstigendes Herzrasen, sobald sie sich aufrichtet – ein typisches Symptom von POTS, dem posturalen orthostatischen Tachykardiesyndrom, einer Fehlsteuerung des autonomen Nervensystems.

Nach kleinsten Aktivitäten fühlt sie sich, als wäre sie gegen eine Wand gelaufen – ein sogenannter Crash, wie er bei PEM auftritt: der post-exertionellen Malaise, einer krankhaften Verschlechterung nach geringer Anstrengung. Und dann ist da diese bleierne Erschöpfung, die tagelang nicht weicht. Schmerzen. Atemnot. Alltag mit Symptomen von ME/CFS – Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom, der schwersten Form eines postviralen Erschöpfungssyndroms. Long Covid. Damals ist das alles namenlos.

Gaslighting statt Hilfe

Alexa sucht ärztliche Hilfe. Doch viele Mediziner:innen begegnen ihr mit Skepsis. „Sie sagten, es sei psychosomatisch. Ich solle einfach mal rausgehen, mich bewegen, positiv denken.“ Doch Alexa kann kaum noch gehen. Nicht einmal aufrecht stehen. „Ich wollte ja. Aber mein Körper konnte nicht.“ Ein Satz, der bei einer Diagnose den großen Unterschied markiert – zwischen Depression und Long Covid. Doch viele hören ihn nicht oder verstehen ihn falsch.

Sie spricht von Medical Gaslighting, dem systematischen Infragestellen körperlicher Symptome. Ein Begriff, der in Patient:innengruppen kursiert – in medizinischen Lehrplänen jedoch kaum vorkommt. Alexa weiß: „Wenn man dich nicht ernst nimmt, wirst du doppelt krank.“ Denn Long Covid ist eine Krankheit ohne klaren Blutwert, oft nicht anerkannt, weder von der Pensionsversicherung noch von vielen ärztlichen Gutachter:innen. „Die Prognose fehlt. Die Diagnose ist schwierig. Die Behandlung ein Desaster.“

Bildausschnitt Simone UBahn_Portrait ZIMT Magazin

Alexa spricht von Medical Gaslighting, dem systematischen Infragestellen körperlicher Symptome

Die Symptome von Long Covid sind vielfältig, doch Alexa hebt einen Aspekt hervor, der besonders Frauen betrifft: hormonelle Veränderungen. In Untersuchungen stellt sich heraus, dass sie kaum noch Eizellen übrig hat. Für Alexa bedeutete das zunächst das Ende ihres Traums von einer natürlichen Schwangerschaft – ein harter Schlag für eine Frau mit Kinderwunsch.

Ein Wunder zwischen den Symptomen

Doch 2023 wird Alexa plötzlich schwanger. Obwohl ihr vorher gesagt wurde, dass sie nur auf künstlichem Weg Kinder bekommen könnte. Die Eizellen, die sie vorsorglich einfrieren ließ, scheint sie vorerst nicht zu brauchen. Mit der Schwangerschaft geht es ihr auf wundersame Weise besser.

„Ich hatte das Gefühl, mein Körper wacht auf.“

Alexa verliert das Kind. Doch der gesundheitliche Zustand bleibt stabiler. Sie erinnert sich: „Ich fühlte mich plötzlich besser – fast wie geheilt.“ Ihr Neurologe vermutet, dass hormonelle Veränderungen durch die Schwangerschaft eine Rolle gespielt haben könnten. Diese Erfahrung gibt Alexa Hoffnung – nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Betroffene. „Wenn man es schaffen könnte, den Hormonstatus medikamentös zu beeinflussen, wäre das ein Durchbruch“, sagt sie. Doch bis dahin bleibt es bei individuellen Geschichten wie ihrer.

„Wir machen die Arbeit, die eigentlich der Staat machen müsste.“

Behandlungsmöglichkeiten für Long Covid-Patient:innen bleiben mangelhaft. Ambulanzen entstehen, schließen wieder, sind überlastet. Alexa beginnt, sich mit anderen Betroffenen zu vernetzen. Gemeinsam mit anderen gründet sie Long COVID Austria, eine ehrenamtliche Betroffeneninitiative, die Beratung, Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit und politische Interessenvertretung übernimmt – kurzum alles, wo das System versagt hat. „Wir machen die Arbeit, die eigentlich der Staat machen müsste.“

Sie spricht offen über das, was – zumindest ein bisschen – hilft: über Pacing – das bewusste Einteilen der eigenen Energie im Tagesverlauf, um Rückschläge zu vermeiden –, über Nahrungsergänzungsmittel, Infusionen, alternative Therapien. Viele davon sind teuer, oft privat zu zahlen. Für Alexa waren sie die letzten Strohhalme, an die sie sich klammerte. „Ich war irgendwann an dem Punkt, wo ich sagte: Ich probiere alles. Ich will mein Leben zurück.“

Was bleibt, ist Resilienz

Heute ist Alexa erneut schwanger. Neben ihrer Ausbildung schreibt sie an einem Buch – einem biografischen Ratgeber mit schwarzem Humor, wie sie sagt, „weil ich sonst nicht überlebt hätte.“ Mit ihrer Geschichte will sie anderen Menschen Hoffnung auf Heilung geben: „Ich bin kein Wunder. Ich bin ein Beweis dafür, dass Long Covid hormonelle Dimensionen hat, die endlich beforscht werden müssen.“

Alexa weiß, dass viele Menschen an dieser Krankheit zerbrechen. „Die Psyche leidet mit – aber sie ist nicht der Auslöser.“ Es brauche mehr Wissen, mehr Differenzierung, mehr Zuhören. Und eine medizinische Kultur, die Betroffene nicht in Schubladen steckt.

Melde dich zu unserem Newsletter an:

 

Mit der Anmeldung zu unserem Newsletter akzeptierst du unsere Datenschutzrichtlinien.