Triggerwarnung

Der Artikel befasst sich mit dem Thema Depressionen. Bestimmte Inhalte oder Wörter können negative Gefühle oder Erinnerungen auslösen. Wir möchten dich darauf hinweisen, den Artikel nicht zu lesen, falls du dich heute nicht stabil genug fühlst.

Mit Herz und Kopf: Herzal

Seit frühen Jugendjahren hat Herzal Depressionen. Um sie zu bewältigen, nahm er Antidepressiva. Als Mann fühlt er sich dem Stigma um psychische Erkrankungen besonders ausgesetzt.

Text: Jana Reininger
Fotos: Jana Reininger, Kathrin Zeininger

Datum: 13. Februar 2022

„Mit 14 hab ich gemerkt, dass mit mir etwas anders ist als mit meinen Klassenkolleg:innen“, erzählt Patrick. Eigentlich wird Patrick Herzal genannt. Weil er mit 19 eine Herzmuskelentzündung hatte, durch die er lange im Krankenhaus bleiben musste. Und weil Nicknamen damals im Trend waren. Oder auch, weil er besonders herzlich ist. Zumindest sagen das seine Freund:innen manchmal.

„Ich hab mich in der Klassengemeinschaft ausgeschlossen gefühlt. Ich wusste, ich passe nicht ganz da her. Ich war im vierten Bezirk in einer Schule mit vielen Akademiker:innenkindern. Ich bin ein absolutes Arbeiter:innenkind aus dem Zehnten“, erzählt Herzal. „Und dann hab ich auch noch meine hingebungsvolle Liebe zur Musik entdeckt, zu harter Musik. Ich war halt anders als die Leute in meiner Klasse. Da hab ich mich immer mehr zurückgezogen.“

Heute ist Herzal 36 Jahre alt und schult bei einer Sozialversicherung neue Mitarbeiter:innen ein. Mit 14 war für ihn vor allem der Tod ein Thema, das ihn viel beschäftigte. „Das Nachdenken über die eigene Sterblichkeit. Dinge, die man gerne macht, nicht mehr tun zu können“, sagt Herzal. Oft ist er damals im Bett gelegen, im Halbschlaf hochgeschreckt, weil er im Wegdösen den Tod vor Augen hatte, ist dann mit Herzrasen im Bett gelegen. Woher die Angst kam, weiß Herzal nicht. Vielleicht vom Tod der Großmutter, als er 12 Jahre alt war. „Da hat mir mein Onkel sehr unsensibel am Telefon gesagt, dass meine Oma gestorben ist. Nicht einmal ‘Hallo’ gesagt, nur ‚Die Oma ist tot‘ und ich hab das Telefon wortlos meiner Mutter übergeben.“

 

Panikattacken und Depressionen

Wenn Herzal in jungen Jahren nachdenklich im Bett liegt, überkommen ihn oft Panikattacken. „Ich war aufgeregt und mein Herz hat gerast. Ich hab nicht mehr gewusst, wohin mit mir selbst. Ich hab nicht mehr sitzen und nicht mehr liegen können. Hab aufstehen, mich bewegen müssen, damit ich das Gefühl habe, es unter Kontrolle zu bekommen.“ In anderen Momenten ist Herzal traurig und niedergeschlagen. „Die klassische Wolke über dem Kopf, die immer die Sonne nimmt“, sagt er. „Sich wegen tollen Dingen gar nicht so freuen können, wie man es eigentlich möchte.“

Seit 2007 spielt Herzal in Hardcore Bands. Die Vorfreude, auf der Bühne Musik zu spielen, ist für ihn eigentlich das Beste, das es gibt. Wenn sogar dann die Freude fehlt, ist klar: Herzal hat Depressionen. Solche Phasen erlebt er auch heute noch. „Es gibt immer wieder Tage, da geht bei mir einfach gar nichts. Da merke ich, dass mein Akku leer ist.“

Herzal auf einem seiner Konzerte, Foto von Kathrin Zeininger

Beginn der Antidepressiva

Die Neurologin, zu der Herzal schließlich geht, verschreibt ihm Medikamente. Ein paar gegen die Depressionen, ein paar zum Schlafen. Sie empfiehlt ihm auch eine Gesprächstherapie. Herzal nimmt die Tabletten. In den ersten eineinhalb Wochen übergibt er sich oft. Ihm ist schlecht. „Da wird mir was im Gehirn umgerührt“, denkt er sich. Er hat kaum Kraft, seine Freund:innen zu treffen, einkaufen oder in die Arbeit zu gehen. „Ob das den Medikamenten geschuldet ist oder ob ich mich da einfach so sehr hab reinfallen lassen, wird für mich immer ein Rätsel sein“, sagt er heute.

Auf die Gesprächstherapie verzichtet Herzal damals. „Ich war nicht gefestigt genug, mir einzugestehen, dass ich ein Problem hab“, sagt er und erklärt, was er damals dachte und heute nicht mehr: „Weil ich bin ein Mann. Männer haben keine Probleme, keine Gefühle und schon gar keine negativen Gefühle, nur Hunger und Durst.“ Herzal schämt sich für seine Sorgen. Möchte nicht „der“ sein, „der eine Therapie braucht.“ Möchte „wie ein normaler Mensch funktionieren. Ein ganz normaler Mensch der Gesellschaft sein.“

Fünf Jahre lang nimmt Herzal seine Medikamente. Aber sie vertragen sich mit seinem Alltag nicht. Damals geht Herzal gerne feiern. Wenn er auf die Tabletten auch noch trinkt, wird ihm schlecht. Eines Tages fällt er im Urlaub in Prag im Badezimmer des Hotels um. Dann setzt er die Medikamente ab.

Herzal in einem Innenhof in Wien

Ende der Antidepressiva

Bereut er etwas? Nein. „Über einen langen Zeitraum hinweg haben mir die Medikamente geholfen“, sagt er. „Das konstante Gefühl der Traurigkeit. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein, war weg.“ Aber richtig sinnvoll sind Psychopharmaka nicht, wenn man die Gesprächstherapie verweigert, ist Herzal sich heute sicher.

Immer wieder hat Herzal Erstgespräche bei Therapeut:innen. „Aber es hat nie richtig klick gemacht“, sagt er. Deshalb hat er bis heute keine Psychotherapie gemacht. Aber für die Zukunft hat er es fest vor. „Ich bin jetzt in der glücklichen Lage, mir auch privat eine Gesprächstherapie leisten zu können. Ich bin jetzt auf einen Therapeuten gestoßen, mit dem ich mich eigentlich gerne treffen würde. Aber in mir ist noch immer ein bisschen das Stigma. Auch wenn ich es eigentlich besser weiß.“ Herzal ist optimistisch: „Irgendwann wird der Tag kommen, an dem ich gerade ein Hoch habe und sage: Jetzt kann ich daran arbeiten, es zu halten und versuchen meine Tiefen herauszuarbeiten.“

Bis dahin nimmt Herzal sich Zeit. Auch für die schlechten Tage ohne Akku. „Ich weiß nun, dass solche Tage für mich in Ordnung sind. Es ist absolut okay, solche Tage zu haben.“

„Auch im Umfeld meiner Bands haben viele Menschen psychische Erkrankungen. Das bringt wahrscheinlich das Genre mit.“ Neugierig geworden? Du findest Herzals Bands auf Instagram unter @betweenthebeasts und @hopetilldecember