Was tun gegen Klassismus?

Ein Leitfaden für Psychotherapie, von der auch armutsbetroffene Menschen profitieren.

Text: Isabella Wagner
Illustration: Ruth Gafko

Datum: 3. Februar 2023
Collage Ewald Lochner, PSD Wien, Credits: Karina Grünauer

Besonders im Hinblick auf Armut stellt sich die Frage, wie Psychotherapie helfen kann. Zwar hat die Psychotherapie nicht den Anspruch, die Verhältnisse zu verändern, aber den Menschen zu helfen, einen besseren Umgang mit ihren Problemen zu finden. Sie kann dabei unterstützen, dass es Betroffenen besser geht, und sie die Kraft haben, etwas an ihrer Situation zu ändern. Dazu ist es wichtig, dass Therapeut:innen eine gute Beziehung zu ihren Klient:innen aufbauen. Essentiell ist hierbei vor allem, dass Klient:innen Vertrauen zu ihnen fassen können und sich trotz unterschiedlicher Lebensrealitäten von ihren Therapeut:innen verstanden fühlen, erklärt die Psychologin und Soziologin Johanna Muckenhuber, die an der FH Joanneum in Graz im Fach Soziale Arbeit lehrt und sich mit sozialer Ausgrenzung in der Psychotherapie beschäftigt. Ein empathischer Umgang mit prekären Lebenslagen sei unbedingt notwendig, damit Klient:innen sich nicht beschämt oder missverstanden fühlen und die Therapie folglich nicht abbrechen.

In der Psychotherapieausbildung muss für Armut sensibilisiert werden

Als wichtigste Maßnahme hierbei sehen sowohl Muckenhuber als auch die Psychologin Paula Kittelmann, die in einer psychosomatischen Reha-Einrichtung in Deutschland arbeitet, eine Sensibilisierung auf Fragen von Prekarität und sozialer Herkunft in der Ausbildung für Psychotherapeut:innen. Diese ist bisher in Österreich nicht in den ministeriellen Vorgaben zur Ausbildung verankert. Da die Therapieausbildung mit hohen Kosten verbunden ist, wird sie häufig von Personen absolviert, die wenig Erfahrung damit haben, was es bedeutet in Armut aufzuwachsen und zu leben. Zwar gibt es in Österreich eine nicht zu unterschätzende Zahl an Therapeut:innen, die sich das Geld für die Ausbildung mühsam zusammensparen, selbst prekär leben und daher viel Verständnis für das Leben von ärmeren Klient:innen mitbringen. Dennoch sehen Muckenhuber und Kittelmann die Reflexion der eigenen Privilegien und darüber, wie man armuts- und klassismusbetroffenen Menschen in der Therapie angemessen begegnen kann, als eine der wichtigsten Voraussetzung für eine klassismussensible Psychotherapie.

Gruppentherapie kann armutsbetroffene Menschen bestärken

Auch in Gruppentherapien sehen Muckenhuber und Kittelmann Chancen für die Auseinandersetzung in der Therapie mit Armutserfahrungen. Zu sehen, dass man nicht als einzige:r in solch einer Situation ist und andere dasselbe durchmachen, könne für Klient:innen bestärkend wirken und ihnen dabei helfen, sich ein Stück weit von Stigmatisierungen zu lösen und aus jener Isolation, die Armut oft mit sich bringt, herauszutreten.

Wir brauchen mehr kassenfinanzierte Psychotherapieplätze!

Am allerwichtigsten erachtet Muckenhuber aber den Ausbau von kassenfinanzierten Psychotherapieplätzen. Ohne ausreichende staatlich finanzierte Therapieangebote könne sich an der psychotherapeutischen Versorgung von Klassismus- und/oder armutsbetroffenen Menschen nichts ändern. Darüber hinaus brauche es mehr Bewusstsein für die Wichtigkeit von psychischer Gesundheit und eine bessere Aufklärung über Möglichkeiten und Zugänge zur Psychotherapie.

Wir müssen über Armut sprechen und Ungleichheit abbauen

Die Soziologin Barbara Rothmüller und Paula Kittelmann plädieren darüber hinaus für eine unbedingt notwendige Auseinandersetzung mit den Ursachen von Armut. Eine Besserung des Gesundheitszustandes von Betroffenen durch Therapie sei wichtig, bringe aber noch keine Veränderung der Umstände, die Armut und damit in Zusammenhang stehende psychische Belastungen überhaupt erst erzeugen. Die therapeutische Auseinandersetzung mit dem Handlungsspielraum von Betroffenen sei essentiell, reiche aber nicht aus, um Betroffenen aus ihrer Lage zu helfen. Weil psychische Belastungen wie Depressionen und Einsamkeit mit der Situation des “in-Armut-Lebens” in Zusammenhang stehen, müsse auch eine gesellschaftliche Diskussion über die Umstände, die Armut erzeugen, verstärkt werden. Nur so können psychische Belastungen von armutsbetroffenen Menschen langfristig reduziert und ihre Lebensumstände verbessert werden

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