Schuld und Scham
Negative Gefühle sind für Kinder psychisch erkrankter Eltern oft Alltag. Doch passende Unterstützungsangebote helfen, diese abzulegen.
Text: Projekt #visible
Illustration: Jana Reininger
„Gestern Abend habe ich mit meiner Mama gestritten und heute Morgen steht sie einfach nicht aus dem Bett auf…“ Bei solchen Erfahrungen und Erzählungen schwingt bei Kindern psychisch erkrankter Eltern vor allem eines mit: Die Frage „Bin ich schuld?“.
Eine Grippe kommt und geht, ohne Schuldzuweisungen zu machen. Symptome einer psychischen Erkrankung einzuordnen, ist wesentlich schwieriger. So zieht sich das Thema der Schuld oft über Jahre.
Was mit der Schuld Hand in Hand geht, ist die Verantwortungsübernahme. “Wenn ich Symptome ins Negative verändern kann, kann ich sie auch ins Positive verändern“, denken Kinder oder Jugendliche sich oft und beginnen sich in beide Richtungen, ins Positive wie ins Negative, verantwortlich zu fühlen. Sei es die konkrete Verantwortung für Haushaltsaufgaben und eigentlich elterliche Aufgaben, wie die Sorge um Wäsche, Geschwister oder das Kochen – oder eine noch diffusere emotionale Verantwortung dem Elternteil gegenüber. Diese Verantwortung nährt den Boden für umso mehr Schuldgefühle und quälende Fragen: „Sollte ich auf die Party gehen, wenn mein psychisch erkrankter Elternteil allein zuhause sitzt?“, „Darf ich so viel Zeit bei der Familie meines ersten Freundes verbringen oder macht mich das zu einer schlechten Tochter?“, „Kann ich heute bei meiner Freundin Mittagessen oder bekommen meine Geschwister dann nichts Warmes zu Mittag?“
Über Schuldgefühle zu sprechen, ist schwierig. Oft sind sie den Kindern und Jugendlichen ja gar nicht bewusst. Das macht es schwierig, sich Hilfe zu holen. Neben der ständigen Begleiterin namens „Schuld“, steht auch oft noch ganz viel Scham.
„Bei mir Zuhause geht es oft ganz anders zu, als bei anderen.“, „Mein Elternteil verhält sich komisch.“ „Bei uns ist es nicht so sauber und aufgeräumt.“ Da Kinder und Jugendliche sich mit dem eigenen Zuhause und den eigenen Eltern oft identifizieren, schämen sie sich als Kind eines psychisch erkrankten Elternteils oft enorm. Die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen ist für den Nachwuchs oft schon früh spürbar. „Also sag ich’s lieber nicht.“
Die Kombination aus Schuldgefühlen und Scham isoliert das Thema oft völlig. Auch das direkte familiäre Umfeld ist davon betroffen und kann häufig wenig unterstützen. Schuld, Scham, Hilflosigkeit, und Isolation ziehen sich oft auch durch ihre Leben.
In vielen Fällen bietet erst der Erfahrungsaustausch zwischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen Einsicht darüber, dass und inwiefern Schuld und Scham zwei riesengroße, schwere Rucksäcke sind, die man als Kind eines psychisch erkrankten Elternteils bisher selbstverständlich mit durch das Leben getragen hat. Rucksäcke, die man Schritt für Schritt abzulegen lernen kann – in einem passenden Beratungsprozess.
Die folgenden Beratungsstellen stehen Kindern psychisch erkrankter Eltern zur Verfügung:
- Wien (und online für ganz Österreich): „verrückte Kindheit“ von HPE Wien
- Oberösterreich: „ELCO/KICO“ von pro mente
- Salzburg: JOJO Salzburg von GfsG Steiermark
- Niederösterreich: KIPKE von Caritas NÖ und KIPKE von PSZ