Hilfe, Weihnachten!

Für viele Menschen ist die Weihnachtszeit besonders belastend. Der Psychotherapeut Günter Klug erklärt, was in Krisenzeiten hilft.

Text: Sabrina Strutzmann
Bilder: pro mente/Vladislav Murashko/Pexels/Stocksnap/Pixabay

Datum: 20. Dezember 2022
Psychotherapeut Günter Klug

Weihnachtszeit – die Zeit der Liebe, die Zeit zum Schenken, die Zeit zur Besinnung und Ruhe – so sollte es sein. Für viele Menschen aber bedeutet genau diese Zeit Stress, Einsamkeit, Depression. Günter Klug, Psychotherapeut sowie Präsident von pro mente Austria erklärt, warum das so ist und was helfen kann.

ZIMT: Warum verstärken sich seelische Krisen zu Weihnachten? 

Günter Klug: Das hat mehrere Gründe. Einerseits kann es ab Herbst, wenn es draußen schnell dunkel ist, verstärkt zu (Winter)-Depressionen kommen. Zur Weihnachtszeit wird das Stresslevel durch das „gehypte“ Familienfest immens erhöht.

Geschenke besorgen, Weihnachtsfeiern, Freunde treffen, vieles muss organisiert werden, die Erwartungen an sich selbst sind dabei sehr hoch.

Man verbringt drei Tage gemeinsam mit der Familie zuhause, doch nicht jeder hat ein positives Gefühl im Familienverband. Viele haben niemanden und sind besonders einsam, während die anderen ihre Familien besuchen. Wenn man sozioökonomisch nicht so gut dasteht, übt es zusätzlichen Druck aus, sich keine Geschenke leisten zu können. Zudem werden wir in den sozialen Medien dann noch mit geschönten Geschichten überflutet, die das Leiden sowie den Wunsch danach verstärken. Hier wird das Positive gekonnt in Szene gesetzt – perfekter Christbaum, ein aufwändiges Weihnachtsmenü, die ganze Familie sitzt beisammen und wirkt sehr glücklich. Oft entspricht das nicht der Realität, aber genau das wollen wir dann auch. Wenn es für uns nicht erreichbar ist, drückt es auf unsere Stimmung.

ZIMT: Was hat das für Auswirkungen?

Klug: Viele ziehen sich komplett zurück, das geht dann in Richtung Depression, oder aber die Aggression steigt, was zu diversen Eskalationen führen kann.

ZIMT: Wer ist besonders gefährdet?

Klug: Besonders gefährdet sind einerseits Alleinerzieher:innen, die für viele Besorgungen alleine verantwortlich sind, sich selbst aber verlassen fühlen – ein Spagat, den man nicht so gut stemmen kann. Auch für Patchwork-Familien ist es oft schwer, für ausgewogene Weihnachtsbesuche zu sorgen. Jugendliche kommen mit dem Familienfest oft nicht allzu gut zurecht, sie haben wenig bis keine Möglichkeiten, das Fest autonom zu gestalten. Sie sind, gemeinsam mit älteren Menschen, besonders oft von Einsamkeit betroffen. Junge Menschen können mit den Eltern oft gerade nicht „viel anfangen“, werden aber zu Familienbesuchen verpflichtet. Ältere Menschen stehen oft alleine da und/oder haben niemanden mehr, mit dem sie gemeinsam Weihnachten verbringen können.

ZIMT: Steigt die Suizidalität zur Festzeit?

Klug: Weihnachten und Silvester sind besonders gefährliche Zeiten, der Druck ist groß. Zu Weihnachten geht es um Nähe, zu Silvester muss man lustig sein. Die Realität passt nicht mit dem inneren Bild zusammen, das erhöht das Risiko. Das Suizidrisiko ist jedoch nach der Weihnachtszeit höher. Viele kämpfen sich noch durch und können danach nicht mehr. Wenn Angehörige ein Suizidrisiko befürchten, gilt es, das Thema anzusprechen. Damit ermutigt man niemanden. Wichtig ist dabei, bei sich zu bleiben: „Ich würde mir wünschen, dass du dir Hilfe suchst. Ich möchte dich nicht verlieren.“

Weihnachten und Silvester sind besonders gefährliche Zeiten, der Druck ist groß. Zu Weihnachten geht es um Nähe, zu Silvester muss man lustig sein. Die Realität passt nicht mit dem inneren Bild zusammen, das erhöht das Risiko.

Gurte Psychiatrie bunt

Die Festtage sind nicht für alle Menschen ein Grund zur Freude. Wichtig ist, dies früh genug zu erkennen.

ZIMT: Wie können Angehörige noch unterstützen?

Klug: Bei Einsamkeit hilft es, sich bei Betroffenen zu melden, sie einzuladen. Allein das Gefühl, dass jemand da ist, jemand an mich denkt, hilft. Bei Patchwork-Familien lastet hoher Druck auf den jungen Menschen. Es ist wichtig, den Entscheidungsdruck, bei welcher Seite der Familie man feiert, nicht zu erhöhen und die Freiheit der jungen Menschen klar auszudrücken.

ZIMT: Wie kann man sich selbst Gutes tun? 

Klug: Sich selbst kann man schützen, indem man tolerant zu sich ist und sich zugesteht, dass man zu Weihnachten nicht zwingend Geschenke kaufen, Kekse backen oder an allen Feierlichkeiten dabei sein muss. Manchmal genügt es, mit Freund:innen oder nahestehenden Personen zu reden. Wenn nicht, ist es wichtig, Expert:innen hinzuzuziehen. Oft ist es leichter, mit Fremden zu reden, außerdem haben Expert:innen oft Lösungen, was es braucht – sei es eine Medikation oder längerfristige Hilfe. Fakt ist, je früher sich Betroffene Hilfe holen, desto weniger kann es eskalieren. Wenn Personen gar keine Energie mehr für den Kontakt mit anderen haben, sich vollständig zurückziehen, wird es problematisch.

ZIMT: Wo bekommt man Hilfe?

Klug: Idealerweise sucht man sich, wenn man merkt, dass der Druck steigt, bereits schon vorab Hilfe. Über die Weihnachtstage ist das etwas schwieriger. Betroffene können beispielsweise das psychiatrische Krisentelefon in Anspruch nehmen (PSD), bevor Situationen eskalieren oder wenn Betroffene nicht mehr weiter wissen. Wenn sie hauptsächlich wen zum Reden brauchen, ist die Telefonseelsorge oder Rat auf Draht der richtige Weg. Es ist wichtig, auch gleich einen Termin nach den Feiertagen zu vereinbaren. Im Notfall, das heißt bei Aggressionen oder Suizidalität, sollte die Rettung gerufen werden.

Infobox

Du fühlst dich überfordert, einsam oder denkst gar an Suizid? Unter den folgenden Nummern erhältst du kostenlos und schnell Unterstützung:

Für Österreich:

Sozialpsychiatrischer Notdienst/PSD Wien
Tel.: 0131330 (täglich von 0 bis 24 Uhr)
www.psd-wien.at

Telefonseelsorge (ganz Österreich)
Tel.: 142 (täglich von 0 bis 24 Uhr)
www.telefonseelsorge.at

Ö3 Rotes Kreuz Kummernummer
Tel.: 116123 (täglich von 16 bis 24 Uhr)
www.bittelebe.at

Rat auf Draht
Tel.: 147 (täglich von 0 bis 24 Uhr)
www.rataufdraht.at

 

Für Deutschland:

Telefonseelsorge
Tel.: 0800 / 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222 oder 116 123 (täglich von 0 bis 24 Uhr)
www.telefonseelsorge.de

Die Nummer gegen Kummer
Tel.: 116111 oder 0800 / 111 0 333 (für Kinder und Jugendliche, mo-sa von 14 bis 20 Uhr)
www.nummergegenkummer.de

Weitere Notfallnummern findest du hier: https://zimtmagazin.at/sos/