Mehr Queerness im TV, bitte!

Wie Fernsehformate wie Princess Charming Rollenbilder erschaffen und das Tor zu mehr Vielfalt öffnen.
Text: Magdalena Frauenberger
Bilder: RTL I Markus Hertrich
Datum: 29. März 2024
Hier steht die Princess Charming vor einer schweren Entscheidung: Wer muss gehen und wer darf bleiben?

Madleen steht am Rande eines Felsen. Um sie herum weißer Sandstrand und türkisblaues Wasser. Sie schaut zum Horizont. Ihr Blick ist kraftvoll und entschlossen. Dann breitet sie die Arme wie Engelsflügel aus und streckt sie gen Himmel. Sie lächelt.

Was wie das Ende eines Kinofilms klingt, ist in Wahrheit die Einstiegsequenz der dritten Staffel der deutschen TV-Dating-Show „Princess Charming“ – der ersten lesbischen Dating Show weltweit. In der Sendung begibt sich jeweils eine Frau*, die sogenannte „Princess Charming“, auf Liebesreise und hofft unter 20 weiteren FLINTA* Personen die wahre Liebe zu finden. Seit Beginn der ersten Staffel im Jahr 2021 sorgt das Format innerhalb und außerhalb der LGBTQIA+ Community für Aufsehen. Denn obwohl es sich bei der Show um ein Unterhaltungsformat handelt, spielen Aufklärung und Identifikation entscheidende Rollen. Wie Madleen Matthias, die aktuelle Princess Charming, in der TV-Show auftritt, ihre Aussagen und ihr Handeln haben Gewicht. Auch wenn die 24-Jährige selbst keine geeigneten Vorbilder in ihrer Kindheit hatte, ist sie für viele nun selbst ein Vorbild. Ein queeres Vorbild. Und solche sind, laut des Queer Youth Vereins in Wien, als Identifikationsmöglichkeit und damit für die psychische Gesundheit der LGBTQIA+ Community besonders relevant. Zwar sind laut der LGBT+ Pride 2021 Gobal Survey Umfrage drei Prozent der Bevölkerung trans und elf Prozent definieren sich als nicht-heterosexuell, dennoch fehlt es im öffentlichen Raum oder gar in den Medien an entsprechenden Repräsentationsfiguren.

„Ich bin sehr froh, dass ich meine Sexualität nicht verstecken muss“, erzählt Madleen Matthias, die aktuelle Princess Charming, am Anfang der TV-Show. Die 24-Jährige ist in einem sehr heteronormativen Umfeld aufgewachsen. Diverse sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten waren weder in ihrem Umfeld noch in ihrer Heimatgemeinde Weyer in Niedersachsen sichtbar. „Queerness gab es nicht. Es gab keine Vorbilder – nichts!“ Erst als Madleen für ihr Studium in die Niederlande zieht und Queerness dort als etwas ganz Selbstverständliches erlebt, kann sie ihre wahre Sexualität entdecken. „Ich bin jetzt das erste queere Vorbild in der Familie und das finde ich richtig cool!“

Handy mit Blüten (c) Jana Reininger

Madleen Matthias ist die Princess Charming der Staffel 2023.

Vorbilder in der Öffentlichkeit prägen die gesellschaftliche Wahrnehmung, vor allem aber das Selbstbild

Eine der vielen begeisterten Zuschauer:innen der Dating-Show ist Ivana. Für das Interview mit ZIMT haben wir uns im Uni-Café in Wien getroffen. Die 22-Jährige ist vor gut einem Jahr zum Studieren nach Wien gezogen. Aufgewachsen ist sie in Serbien, wo ihre Zugehörigkeit zur LGBTQIA+ Community ein großes Hindernis darstellte: „In Serbien musste ich mich verstecken. Obwohl mein Heimatland in der EU liegt, gibt es dort kaum queere Sichtbarkeit auf den Straßen. Meine Identität konnte ich dort nicht offen ausleben“, erzählt sie. Bereits mit 15 hatte Ivana das Gefühl: Irgendetwas ist bei ihr anders als bei ihren Freund:innen – nur was?

Die Suche nach Antworten gestaltete sich für Ivana schwierig. Homosexualität ist in Serbien zwar seit 1994 offiziell legal, auf den Straßen des Landes sieht man davon aber kaum. Das serbische Innenministerium plante 2022 sogar ein Verbot der bekannten alljährlichen LGBTQIA+ Pride Parade und damit eine weitere Einschränkung queerer Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit. Schließlich fand Ivana Zuflucht in den sozialen Medien. Videos anderer queerer Personen auf TikTok und Instagram gaben ihr den nötigen Mut, sich mit 18 Jahren ihren besten Freund:innen und Teilen ihrer Familie anzuvertrauen. Als sie 22 ist, zieht sie nach Wien, wo sie in der „Wiener Cuties Gruppe“, einer selbstorganisierten Gruppe für FLINTA* Personen, die sich regelmäßig zum Austauschen, Spielen und Tanzen trifft, Anschluss findet. Über sogenannte Watchpartys, bei denen sich die Gruppe zum gemeinsamen Serienschauen trifft, kam Ivana erstmals in Berührung mit Princess Charming und mit LGBTQIA+ im Fernsehen. „Ich finde es wichtig, dass es eine Datingshow für queere Personen gibt. Es ist schön, sich in solchen Shows selbst wiederzuerkennen und repräsentiert zu werden“, erzählt Ivana.

Auch für Nina Burkhardt, eine weitere Teilnehmerin der diesjährigen Staffel, hat Princess Charming eine ganz besondere Bedeutung: „Ich habe tatsächlich erst durch die erste Staffel Princess Charming gemerkt, wie wichtig queere Vorbilder für mich gewesen wären und wie wichtig sie immer noch für mich sind“, erzählt sie, als ZIMT sie und Madleen für ein Interview vor Ort in Berlin getroffen hat. Nina lebt und arbeitet in Berlin. Sie ist ausgebildete Tänzerin, Frisörin und arbeitet derzeit auch im Einzelhandel. Seit ihrer Teilnahme bei Princess Charming gewährt sie ihren neu gewonnen Follower:innen auf Instagram Einblicke in ihr Leben.

Handy mit Blüten (c) Jana Reininger

In der 3. Staffel von Princess Charming kämpfte Nina Burkhardt um das Herz der Princess.

Klassische Rollenbilder grenzen queere Personen häufig aus

Madleen und Nina sind mitverantwortlich dafür, dass in der diesjährigen Staffel von „Princess Charming“ explizit viel über das Thema Psyche gesprochen wird. Beide hatten immer wieder mit depressiven Episoden zu kämpfen und einen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik hinter sich. Die beiden wollen dies aber weniger als Belastung, sondern viel mehr als Chance zur Aufklärung sehen. „Es ist wichtig zu verstehen, dass es keine Schande ist nach Hilfe zu fragen und sie anzunehmen. Das erfordert Mut und Stärke und hat nichts mit Schwäche zu tun“, so Madleen.

„Mediale Repräsentation von LGBTQIA+ Personen haben einen maßgeblichen Einfluss auf die gesellschaftliche Einstellung zu queeren Personen und auch auf die Selbstbilder“, heißt es auf der Website des LSVD, des Lesben und Schwulen Verbands Deutschland. Gleichzeitig kommt diese Gruppe kaum bis gar nicht in der Berichterstattung oder Unterhaltungsprogrammen vor. Die Zahlen der TV-Studie lgbTVSCAN 2023 für den deutschsprachigen Raum machen die Kluft zwischen Realität und Repräsentation deutlich sichtbar: Während sich 10-15 Prozent der Bevölkerung der queeren Community zugehörig fühlen, betrug der Anteil von LGBTQIA+ Protagonist:innen in Spielfimen und Dokumentationen nur 0,7 Prozent. Dieses Ergebnis hat sich im Vergleich zum Vorjahr nicht verändert.

Neben der Aufklärung für Außenstehende sind queere Vorbilder besonders für die psychische Gesundheit anderer queerer Personen wichtig. „Wir orientieren uns automatisch an Vorbildern, auch wenn es uns oft nicht bewusst ist. Das können die Eltern sein, die Peergroup, Prominente oder sogar Figuren aus Filmen und Büchern“, so Mag.a Ulrike Schiesser, Psychologin und Psychotherapeutin mit Schwerpunkt LGBTQIA+, in Wien. „Für queere Menschen sind positive Identifikationsmodelle von besonders großer Bedeutung, da klassische Rollen- und Familienbilder sie häufig ausgrenzen. Es kann das Gefühl entstehen, nirgends dazuzugehören, nicht ‘normal‘ oder ‘unnatürlich‘ zu sein und sich deshalb als Außenseiter:in zu fühlen“, sagt Schiesser. Dieses Gefühl der Einsamkeit kann im schlimmsten Fall sogar lebensbedrohlich werden und führt nach wie vor zu einer erhöhten Suizidrate. „Mir erzählen oft Klient*innen wie wichtig es war, in einem Internetforum andere Menschen getroffen zu haben, die sie verstehen und ähnliche Probleme haben. Für manche ist es befreiend, über Social Media und Instagram seelenverwandte Personen zu finden, die selbstbewusst auftreten und von überwundenen Ängsten und Problemen berichten“, erklärt die Psychotherapeutin. „Das gibt Hoffnung für die Bewältigung eigener Sorgen.“

Nina von Princess Charming spricht noch ein weiteres Problem an: „Gerade als lesbische Frau oder weiblich gelesene Person ist es oft doppelt schwer, weil wir, unabhängig von unserer Sexualität, auch Diskriminierung aufgrund unseres Geschlechts erfahren“. Was Nina meint, ist das Problem der intersektionalen Diskriminierung. Es sind die zusätzlichen Herausforderungen, denen Menschen ausgesetzt sind, die sich nicht nur als queer definieren, sondern zusätzlich auch als nicht männlich oder nicht weiß gelesen werden. „Es bedeutet, dass Menschen aufgrund tatsächlicher oder zugeschriebener Merkmale mehrfach diskriminiert werden“, heißt es auf der Website von Amnesty International. „Herkunft, Hautarbe, Religion, soziale Schicht, Behinderung, Alter, soziales Geschlecht, sexuelle Orientierung, Staatsangehörigkeit etc. kommen dabei bei einzelnen Menschen zusammen. Dann heißt es z.B.: die arme Migrant:in im Rollstuhl, die alte, lesbische Frau, Woman of Colour“, heißt es auf der Website. So wirkt diese Ungleichbehandlung oftmals als zusätzliche psychische Belastung.

 

Seid proud

Der Wunsch nach Vielfalt innerhalb der queeren Community ist bei allen Protagonist:innen dieser Reportage groß. Ivana wünscht sich, dass queere Repräsentation und die Darstellung der Vielfalt der queeren Community, in den Medien, immer selbstverständlicher wird. Diese Einstellung teilt auch die Psychologin und Psychotherapeutin Ulrike Schiesser. Sie betont: „Wichtig ist, dass nicht wieder nur Klischees und einseitige Darstellungen stattfinden. Eine möglichst große Bandbreite an repräsentierten Lebensmodellen und Persönlichkeiten gibt implizit die Erlaubnis, selbst individuelle Wege zu gehen.“ Für Madleen soll die Diversität sexueller Orientierungen und Geschlechtsidentitäten kein großes Thema, sondern einfach Teil der Normalität sein. Queere Menschen sollten in verschiedenen Formaten und Sendungen präsent sein, ohne dass ihre Sexualität oder Identität in den Vordergrund gerückt wird. Im Hinblick auf Queerness und mentale Gesundheit hat Nina abschließend noch einen Appell an all diejenigen, die aktuell damit zu kämpfen haben: „Lasst euch von Niemandem sagen, dass eure Gefühle hier keinen Platz haben. Schlussendlich ist alles, was ihr fühlt, immer valide, immer gerechtfertigt.“ Selbstfürsorge und das Umgeben mit unterstützenden Menschen hält sie für essentiell. „Seid laut, seid queer, seid proud!“

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