Was Männlichkeit vom Feminismus lernen kann: Ein Kommentar über Männer und die Psyche
Nicht nur Frauen sind von gendertypischen psychischen Belastungen betroffen. Auch Männer haben ihre ganz eigenen Sorgen. Von feministischen Veränderungen könnten beide profitieren, ist sich Autor Viktor Wenger sicher.
Text: Viktor Wenger
Fotos: Lukian Goth
Zuerst mal eine Klarstellung: Feminismus ist nicht dazu da, um Männern etwas Positives zu geben. Er hätte genauso viel Berechtigung, wenn er das nicht machen würde. Er tut es aber trotzdem, wenn man es nur zulässt.
Im Grunde ist mentale Gesundheit etwas, das höchst individuell und für jeden Menschen anders ist. Die Sozialisierung als “Mann“ bringt jedoch so einige Rahmenbedingungen mit: Es gibt natürlich durchaus diverse Vorstellungen von Männlichkeiten – auch Sanfte und Fürsorgliche. Viele Männer vermeiden es aber nach wie vor tunlichst zu weinen, haben Schwierigkeiten sich verletzlich zu zeigen oder kämpfen mit der Vorstellung immer „dominant und machtvoll“ sein zu müssen.
Das sind gute Voraussetzungen mentale Probleme zu unterdrücken oder schlimmer zu machen. Sie erschweren es, sich professionelle Hilfe zu suchen. Das alles scheint aber ganz natürlich zum “Mann sein“ zu gehören. Es ist normal, als Kind darüber zu lachen, wenn jemand anderes weint, es ist normal, mit den besten Freunden selten über intime Dinge zu sprechen und es ist auch normal, kleine Jungs als „crybaby“ abzustempeln, wenn sie gerne im Arm gehalten werden. Vielleicht sollten dieses “Mann sein“ und die Ansprüche, die damit verknüpft sind etwas hinterfragt werden.
Hier hilft es anzuerkennen, welche Rolle das Patriarchat im Entstehen dieser Ansprüche spielt. Genau jene Strukturen, die männlich gelesenen Personen in so vielen Bereichen – von der Jobsuche bis zum Sicherheitsgefühl am Nachhauseweg – bevorzugen, fallen uns am Schluss selber in den Rücken. Wem nützt es etwas “stark“ zu sein? Wieso sollte ich nicht „wie ein Mädchen“ über meine Gefühle reden? Wieso muss ich hier meine Grenzen wahren?
Autor Viktor Wenger findet, Männer sollten mehr Gefühl zeigen
Die feministische Sozialwissenschaft widmet sich schon lange Zeit den Unterschieden und Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Diese führt man in weiten Teilen auf eine theaterhafte “Aufführung” von Geschlechterrollen zurück. Sich wie „ein richtiger Mann“ zu verhalten ist Teil und Ursache der gängigen Aufteilung in “männlich“ und “weiblich“. Die binäre Aufteilung bedingt also viele der belastenden Normen, unter denen insbesondere Frauen leiden.
Aber auch Männer leiden unter den Anforderungen des Patriarchats, nur auf ganz andere Weise. Und ja, das ist ein bisschen so wie einen Stock in die eigenen Fahrradspeichen zu stecken und sich dann über den folgenden Sturz zu beschweren.
Durch die „immer hart sein“ Einstellung fehlen viele Zugänge zu Intimität und Geborgenheit. Oft lassen nur Partner:innenschaften solche Zugänge in einer stark sexualisierten Form ansatzweise zu. Diesen Kreis auf Freund:innen oder sogar Fremde auszuweiten, Schwäche und Verletzlichkeit zu zeigen scheint für viele Männer oft unmöglich. Es würde jedoch die Manier wie mit Schwierigkeiten umgegangen wird um einiges nachhaltiger gestalten. Darüber hinaus würde es den Druck von einzelnen Partner:innen nehmen als einzige Intimität bereitstellen zu müssen. Eine weitere Coping-Strategie und leider schon fast ein Klischee für männliche Verschlossenheit ist das Weinen – Boys Don’t Cry. Dabei setzten Tränen Endorphine frei und reduzieren Stresshormone, einfach gesagt: vieles fühlt sich danach besser an. Außerdem hilft es in Verbindung mit Gefühlen zu treten, diese auszudrücken und schlussendlich raus zu lassen. Ohne unsere eigene Hypermaskulinität und dem Festhalten an Gendernormen würde uns ein viel größeres Repertoire an gesunden, sogenannten adaptiven, Coping-Mechanismen offenstehen.
Zuzugeben, dass Hilfe nötig ist, kann sich zwar im ersten Moment als Schwäche und nach einem Schritt zurück anfühlen: genau in dieser Schwäche liegt aber das Potenzial zur Besserung. Der Abbau einschränkender Gendernormen kann etwa helfen, therapeutische Angebote anzunehmen. Denn diese ohnehin bereits zugangserschwerte Hilfe sollte sich nicht zusätzlich noch anfühlen wie etwas das man „als Mann nicht macht“. Auch freundschaftliche Berührungen haben nachweislich große Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein, das mentale Wohlbefinden und das Glücksgefühl. Sich aufgrund homophoben Stigmas, der Angst als homosexuell gesehen zu werden, physisch zu isolieren, scheint dagegen absurd. Es ist aber für viele Männer Alltag sobald sie das Kleinkind-Alter verlassen. In anderen Erdteilen sind platonische Berührungen etwas, das zu jeder Freundschaft dazu gehört. Die eigenen männlichen Freunde öfter zu umarmen und nahestehende Menschen mit deren Einverständnis zu berühren sind selfcare-Akte mit denen für eine bessere mentale Gesundheit und, in kleinen Babyschritten, gegen das Patriarchat gearbeitet wird.
Möchtest du dich noch mehr in das Thema „Männer & Psyche“ vertiefen? Der Autor empfiehlt die Texte „Is crying good for you?“ aus dem Harvard Health Blog und Mark Greene’s „Touch Isolation: How Homophobia Has Robbed All Men of Touch“.