Vielleicht lieber morgen: Lena

Lenas Leben mit PMDS verläuft in Wellen. Das erschwert es ihr, nach gesellschaftlichen Vorstellungen zu arbeiten. Sie erzählt selbst.

Text: Lena Kothgasser-Haider

Fotos: Ursula Kothgasser

 

Datum: 29. März 2023

Ich liege am Sofa, es ist 10 Uhr vormittags. Es ist die Zeit, in der alle anderen arbeiten, in der alle anderen beschäftigt und geschäftig sind. Nur ich nicht. Ich liege da und tue: nichts. Heute sage ich alles ab.

Ich bin unfähig mich zu bewegen. Eine dunkle Erschöpfung macht sich in meinem Körper breit. In der ersten Zyklushälfte bin ich unternehmungslustig, belastbar, kreativ und gut gelaunt. In der zweiten Zyklushälfte fühle ich mich depressiv, möchte mich in mein Schneckenhaus zurückziehen und nur im Bett bleiben

Lena Kothgasser-Haider ist freie Texterin, Autorin und Gestalterin im Zwei-Frauen-Kreativbüro koco. Sie ist verheiratet, Mama von zwei Kindern, reist, wandert, liest, fotografiert und schreibt.

Alltägliche Tätigkeiten wie Duschen, Geschirrspüler einräumen, eine E-Mail beantworten oder Essen zubereiten, kosten mich unendlich viel Kraft. Wäre ich eine Maschine, wäre ich heute „out of order“. Doch Menschen sind keine Maschinen, die stets gleichförmig funktionieren, auch wenn kapitalistische Vorstellungen uns das gerne vermitteln. Der Glaube daran, dass Leistung bloß dann zählt, wenn sie kontinuierlich erbracht wird, baut für mental belastete und/oder psychisch erkrankte Menschen zusätzlichen Druck auf.

Für Frauen*, für menstruierende Menschen bedeutet das mitunter auch, entgegen ihrer Natur zu arbeiten. Der weibliche Zyklus ist ein fein ausbalanciertes hormonelles System, das zu bestimmten Zeiten Energiehochs ermöglicht, zu anderen Ruhepausen einfordert. Mittlerweile sind einige zyklusbedingte Erkrankungen bekannt: etwa das Prämenstruelle Syndrom (PMS), das Polycystisches Ovarialsyndrom (PCOS), die bislang nur im englischsprachigen Raum bekannte Störung Premenstrual Exacerbation Disorder (PME) oder Endometriose. Noch relativ selten diagnostiziert ist die prämenstruelle dysphorische Störung, oder auch PMDS, oft auch als extreme Form des PMS bezeichnet wird.

PMDS hat viele Gesichter

Das Leben mit PMDS verläuft in Wellen. In der ersten Hälfte des Zyklus, der Follikelphase, geht es mir gut, in der zweiten Hälfte, der Lutealphase, schlecht. Wie sehr ich von PMDS beeinträchtigt bin, lässt sich nie voraussagen. In einem guten Monat sind es drei miese Tage, in einem anderen herrscht bis zu zwei Wochen Dunkelheit. PMDS zeigt sich unter anderem in Wutausbrüchen, Depression und Erschöpfung. Eine Vielzahl an psychischen und körperlichen Symptomen treten individuell sowie je nach Zyklus unterschiedlich stark auf. Jedenfalls ist es ein Zustand, der sich ab dem Tag des Eisprungs über mein gesamtes Leben legt. Der mich nicht mehr ich sein lässt, sondern mich teilweise an die Ränder meiner selbst bringt.

Doch Menschen sind keine Maschinen, die stets gleichförmig funktionieren, auch wenn kapitalistische Vorstellungen uns das gerne vermitteln.

Ich bin dünnhäutig und fühle mich von meiner Familie, meinen Freund:innen und Bekannten schnell angegriffen. Auf Kritik oder Meinungsverschiedenheiten reagiere ich meist mit unverhältnismäßig starker Wut. Jegliche sozialen Kontakte strengen mich an. Das geht soweit, dass ich bereits fixierte private oder berufliche Termine absagen muss. Ich verschiebe alles, was möglich ist, auf morgen – in der Hoffnung, dass der Schub am kommenden Tag wieder abgeklungen ist.

Sobald die Regelblutung einsetzt, verschwinden all meine körperlichen und psychischen Symptome. Meine Energie kehrt zurück und meine Stimmung hellt sich auf.

Raste, wenn du müde bist

Jeden Monat trage ich mir die relevanten Tage – den Beginn der Regelblutung, den Eisprung, mögliche PMDS-Tage – im Kalender ein. So kann ich bei der Terminplanung darauf Rücksicht nehmen. Meine Selbstständigkeit erlaubt es mir, meine Tage und Wochen relativ frei einzuteilen. So kann ich die Erwerbsarbeit nach Möglichkeit an meinen Zyklus anpassen. Care-Arbeit, die Sorgetätigkeiten, die ich jeden Tag für meine Kinder mache, jedoch lässt sich weder planen noch verschieben.

In meinem vertrauten Umfeld von guten Freund:innen und Familie fällt es mir mittlerweile leicht zu sagen, was ich brauche. Ich bin glücklich und dankbar, hier auf viel Verständnis, Geduld und Unterstützung zu stoßen. Morgens lässt mich mein Partner ausschlafen, wenn ich keine Energie habe, aufzustehen. Wenn möglich übernimmt er mehr Care-Arbeit innerhalb unserer Familie, wie Haushaltstätigkeiten, Einkaufen, Essen zubereiten, die Kinder in den Kindergarten bringen und abholen. Wir versuchen die Sorgearbeit möglichst gerecht zwischen uns aufzuteilen. Trotzdem verbringe ich im Alltag mehr Zeit mit den Kindern und trage dementsprechenden Mental Load. Während einem PMDS-Schub ist dies eine große Zusatzbelastung und jede noch so kleine Unterstützung entlastet mich. Eine Freundin bringt mir meine Lieblings-Müsliriegel und zeigt sich nicht beleidigt, wenn ich unsere Verabredung wieder einmal abgesagt habe. Mit meinen Kindern lese ich Bücher auf der Couch, anstatt auf den Spielplatz zu gehen.

Zwischen Sorge um die Familie und Erwerbsarbeit wird es für Lena zur Herausforderung, zu notwendigen Pausen zu kommen.

Ich versuche, freundlich zu mir selbst zu sein, obwohl ich mich und meinen Zustand während eines PMDS-Schubs nicht leiden kann. Und ich gebe nach: der Lust nach Süßkram, dem Drang nach Schlaf und der Ablenkung durch Streaming-Serien. Mittlerweile gelingt es mir, diese Tage als das anzunehmen, was sie sind: wichtige Ruhepausen für mich und meinen Körper, der mir ganz klar sagt: „STOP, jetzt musst du rasten!“. Erinnern wir uns gegenseitig daran, dass wir alle Pausen brauchen und gestehen wir sie uns auch zu.

Im Rhythmus des Zyklus

Wir sind täglich gefordert – im Beruf, in der Familie und in Partner:innenschaften. Wir haben Hobbies und engagieren uns für Dinge, die uns wichtig sind. Doch im Gegensatz zu Maschinen, ist unsere Energie und Tatkraft nicht gleichmäßig verteilt. Viele Menschen mit Menstruation haben Tage, an denen sie vor Motivation sprühen und Tage, an denen sie Ruhepausen einlegen müssen. Wer von PMDS betroffen ist, spürt diese Schwankungen, und um ein Vielfaches intensiver.

Wie wäre es also, würden wir unser Arbeitsleben an den Rhythmus des Zyklus anpassen? Wir würden nicht mehr so tun, als könnten wir jeden Tag dieselbe Leistung erbringen. Wir würden uns wieder mehr mit unserem Zyklus verbinden und dadurch Kraft schöpfen. Wir würden auf der Welle des Motivationsschubs surfen und uns, sobald diese abgeklungen ist, in die Sonne legen, bis das Blut, und damit die Energie, zurückkehrt.

Du hast den Verdacht, dass deine psychischen und körperlichen Beschwerden mit deinem Zyklus zusammenhängen? Die Autorin empfiehlt, für mindestens drei Monate Stimmungsschwankungen, Schmerzen sowie seelische und körperliche Beschwerden in einem Zyklustagebuch oder einer Periodentracking-App. Diese Aufzeichnungen können dir selbst sowie medizinischem Fachpersonal dabei helfen, deine Symptome einzuordnen.

Folgende Ressourcen und Apps kann Lena Kothgasser-Haider dafür empfehlen:

Ein Zyklustagebuch zum Download
von einem Expertinnnen-Team aus Deutschland

Eine englischsprachige Website mit Informationen, Selbsttests und Supportmöglichkeiten
von der International Association for Premenstrual Disorders

Eine Periodentracking-App

Eine PMDS-Tracking-App

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