Triggerwarnung
Der Artikel befasst sich mit Depression. Bestimmte Inhalte oder Wörter können negative Gefühle oder Erinnerungen auslösen. Wir möchten dich darauf hinweisen, den Artikel nicht zu lesen, falls du dich heute nicht stabil genug fühlst.
Motzkuhtag: Simon
Simon hat einen siebenjährigen Sohn. Doch seine Depressionen machen es ihm oft schwer, seinen eigenen Erwartungen als Vater gerecht zu werden.
Text: Jana Reininger
Foto: Privat
“Oft fühle ich einfach gar nichts. Keine Freude, keine Trauer und manchmal falle ich in ein Loch. Ich nenne diese Löcher Schlaglöcher. Mich aus diesen Löchern wieder hinaus zu kämpfen, ist schwierig für mich. Wenn ich in einem ganz tiefen Schlagloch bin, ist die Welt viel farbloser, ein Gemisch aus Grautönen. Ich fühle dann wenig oder nur Schmerz.
Manchmal werde ich auch sehr wütend. Diese Wut richtet sich vor allem gegen mich selbst. Diese Wut schreit mich an, sie macht mich klein, macht mich hilflos und schmeißt mich komplett zurück in eine Opferrolle, in der ich glaube, keine Kontrolle über die Situation zu haben. An schlechten Tagen schaffe ich es gerade einmal aus dem Bett hinaus in die Küche, wo ich etwas esse. Dann liege ich oft stundenlang auf dem Sofa und betäube mit Fernsehen und Social Media meine Gedanken.
An guten Tagen bin ich so energieerfüllt, dass ich alles nachholen möchte, was ich in den Wochen zuvor nicht geschafft habe. Ich schrubbe die ganze Wohnung, lese ein Buch nach dem anderen und versuche so viel wie möglich aus meinem Kraftschub herauszuholen. Dann bin ich am Tag darauf erschöpft, weil ich mich so verausgabt habe.”
Bereits mehrmals war Simon bereits in psychiatrischen Kliniken, weil seine Depressionen ihn dazu führten, sich selbst zu verletzen. Seit er dort war, spricht er offen über seine Erkrankung – auch mit seinem Sohn. Wenn Simon einen schlechten Tag hat, sagt er das seinem Sohn. Die beiden nennen das dann “Motzkuhtag”. An solchen Tagen fällt oft das Programm ins Wasser, das Simon seinem Sohn versprochen hat. Ausflüge gehen dann nicht mehr, dafür balgen Simon und sein Sohn gerne miteinander oder verbringen einen gemütlichen Tag vor dem Fernseher. Einfach ist die Situation mit psychischer Erkrankung dennoch nicht.
“Ich empfinde meinem Sohn gegenüber oft Scham, weil ich nicht so stabil bin, wie ich gerne wäre. Das hindert mich oft daran, bei ihm zu sein. Auch wenn ich körperlich anwesend bin, bin ich emotional oft nicht ganz da. Ich fühle mich hilflos, enttäuscht und traurig und kann meine eigenen Erwartungen nicht erfüllen – und die meines Sohnes auch nicht. Früher dachte ich immer, ich würde einmal der Papa sein, der am Boden Lego baut und in die Fantasiewelt abdriftet, weil ich selbst immer eine sehr bunte Fantasiewelt hatte. Aber jetzt merke ich, dass ich das nicht bin.”
Aufgrund von Simons Erkrankung ist die Beziehung zur Mutter seines Sohnes zerbrochen. Die meiste Zeit verbringt Simons Sohn bei ihr. “Aber er kann immer zu mir kommen, wenn er möchte und an den Wochenenden ist er auch viel hier”, sagt Simon. Dass seine Ex-Frau den Großteil der Sorgearbeit übernimmt, weiß Simon zu schätzen. Auch für sie ist die Situation nicht einfach, sagt Simon. Deshalb wünscht er sich auch für alleinerziehende Ex-Partner:innen psychisch erkrankter Eltern mehr gesellschaftliche Unterstützung.
Wenn sein Sohn Simon für ein paar Tage zu Simon kommt, bereitet dieser sich gut vor. “Dann ruhe ich mich am Vortag aus und mache Programm, durch das ich mich besser fühlen kann. Ich gehe gerne fotografieren oder pflege meinen Bart. Manchmal lackiere ich auch meine Nägel. Glitzernde Farben machen die Welt bunter und mir persönlich bessere Laune. Wenn mein Sohn dann bei mir ist, freue ich mich sowieso sehr.
Mein Sohn ist das tollste Kind, das ich mir wünschen könnte. Er ist willensstark und unglaublich kreativ. Er ist der krasseste, empathischste Sensor, den ich in meinem Umfeld habe. Er merkt schon, bevor es in meinem Kopf anfängt, dass es mir schlecht geht und versucht, mich rauszuholen. Das ist für ihn bestimmt nicht einfach. Vor allem dann, wenn seine Mühen umsonst sind. Manchmal kann ich meine Stimmungen einfach nicht ändern. Ich glaube, da muss er sehr viel aushalten.”