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Weg mit den Haaren!

Westliche Schönheitsnormen drängen Migrantinnen häufig in einen Teufelskreis aus Scham, Schuldgefühlen und exzessiver Selbstkritik. Das belastet die Psyche.

Text: Maria Lovrić-Anušić
Fotos: Zoe Opratko

Datum: 5. Juli 2024
Person mit VR-Brille in Pflanzenumgebung

Blerta steht vor dem Badezimmerspiegel und betrachtet frustriert ihren Körper. Wie immer fallen ihr ihre dunklen Haare auf – auf ihren Beinen, Achseln und im Intimbereich. Die Wut überkommt sie, denn sie vergleicht sich mal wieder mit ihren österreichischen Freundinnen, Influencerinnen und Stars, bei denen alles glatt und hell ist. „Wieso kann ich nicht einfach auch so ein Püppchen sein?“ Ihre dunklen Haare stören die zu dem Zeitpunkt gerade mal 13-Jährige mit kosovarischen Wurzeln enorm.

Sie greift zum Nassrasierer und streift diesen aggressiv und unsanft über ihre Beine. Ehe sie sich versieht, schneidet sie sich ins Fleisch. Gemeinsam mit den Haaren fließt nun auch Blut in den Abfluss. In Momenten wie diesen kann Blerta nicht aufhören, bevor nicht jedes einzelne Haar weg ist. Sich zu schneiden war nicht ihre Absicht, doch das nimmt Blerta, die eigentlich anders heißt, in Kauf, um dem Ideal des haarlosen Körpers zu entsprechen. Dieser Vorfall wiederholt sich immer wieder. Die junge Frau sammelt über Jahre hinweg unzählige Narben auf ihren Beinen und im Intimbereich. Es sind Narben, die tiefer gehen als durch den Körper, denn sie sind ein Symbol für die mentale Belastung, die junge Mädchen mit Migrationsgeschichte erfahren, wenn sie danach streben, der Norm zu entsprechen.

In Zeiten von Social Media, Filtern und Schönheitsoperationen hadern viele Frauen und junge Mädchen, genauso wie Blerta, mit dem Gedanken, nicht gut genug auszusehen. Vor allem Frauen mit Migrationsgeschichte haben das Gefühl, den westlichen Schönheitsnormen nicht gerecht zu werden. Und das nicht ohne Grund: Wenn wir einen Blick auf die Gesellschaft werfen, wird schnell klar, was als schön gilt: weiße Frauen, die schlank, unbehaart und groß sind. Es sind Normen, denen Migrantinnen allein aus ethnischen Gegebenheiten gar nicht entsprechen können. Trotzdem unterziehen sie sich teilweise schmerzhaften Prozeduren, um dem Ideal auch nur stückchenweise näher zu kommen.