Fische im Meer
Liebeskummer gilt oft als harmlos, kann aber alles andere als das werden. Wie bewältigt man ihn und wann ist man bereit für Neues?
Text: Edina Reiner
Bilder: Elena Kele

Sara schwebt auf Wolke sieben. Seit eineinhalb Jahren ist die 28-Jährige mit Thomas zusammen, den sie auf Tinder kennengelernt hat. Für eine Weile scheint alles perfekt zu laufen, bis er seinen Job wechselt. Plötzlich ist er viel unterwegs, oft gestresst, meldet sich immer weniger. Dann beendet er die Beziehung. Für Sara beginnt ein Alptraum. Sie schläft schlecht, fühlt sich aussichtslos. Die plötzliche Trennung scheint für sie unerklärbar. Unzählige Fragen schwirren in ihrem Kopf herum: Liegt es an mir? Bin ich unfähig, eine romantische Beziehung zu führen? Wann hören diese quälenden Gefühle wieder auf?
„Es gibt viele Fische im Meer”, lautet eine bekannte Floskel, mit der Menschen nach Trennungen oft abgespeist werden. Dabei ist Liebeskummer äußerst schmerzhaft und trifft früher oder später fast jeden. Die Trauer nach einer Trennung wiegt schwer, meist ähnelt sie einer Depression. Im schlimmsten Fall kann der Liebeskummer und sogar Organschäden begünstigen. Ab wann ist Herzschmerz also bedenklich? Und wie gelingt eine erfolgreiche Trauerbewältigung?
Liebeskummer kann das Herz schädigen
Wer verlassen wird, ist erstmal stark getroffen. Eine große Schockstarre trifft ein, es fällt schwer, klare Gedanken zu fassen. Oft wollen die Betroffenen die Trennung gar nicht wahrhaben, viele von ihnen hoffen auf eine Versöhnung oder Erklärung. Auch Sara war davon überzeugt, dass Thomas seine Entscheidung noch umkehren würde. Dass ein anfängliches Tinder-Match ihr später einmal so viel Herzschmerz bereiten wird, war für sie unvorstellbar. Seit ihrer Jugend nutzte sie Dating-Plattformen, ohne konkrete Erwartungen oder Hoffnungen. Inzwischen war Sara erwachsen und unterrichtete als Volksschullehrerin im 22. Wiener Gemeindebezirk. Sie stand fest im Leben, doch der richtige Partner fehlte. Als sie Thomas traf, schien sie endlich den richtigen Fang an der Angel zu haben. Auch nach ihrer Trennung hält sie noch an der Vorstellung fest, dass Thomas und sie füreinander bestimmt sind. Seit der Trennung wacht sie nachts oft auf und fühlt sich wie gelähmt. Einen Monat lang hat sie mit Schlappheit zu kämpfen, am liebsten würde sie sich krankschreiben lassen.
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Diese Symptome sind keine Seltenheit. Eine dänische Studie aus dem Jahr 2021 zeigt, dass jede:r Vierte während der ersten Monate nach einer Trennung zumindest milde depressive Symptome aufweist. Die Begleiterscheinungen reichen von Kopfschmerzen, zu verlangsamter Sprache sowie Konzentrationsschwierigkeiten bis hin zu reduziertem Appetit und Gewichtsverlust. „Dass sich im Körper Veränderungen auftun, ist grundsätzlich normal“, erklärt Stephan Doering. Er ist Leiter der Klinik für Psychotherapie und Psychoanalyse des AKH der Medizinischen Universität Wien und betreut auch einige Patient:innen, die ihre Partnerschaft aufgelöst haben.
„Alles, was wir mental und emotional erleben, wirkt sich auch auf unseren Körper aus. Bei einem Trennungsprozess können wir zahlreiche körperliche Begleiterscheinungen feststellen. Das reicht von einer Änderung des Hormonspiegels bis hin zu einer veränderten Aktivierung unserer Nervenzellen“, erklärt Doering.
Die hormonellen Veränderungen führen zu einer verstärkten Cortisol-Ausschüttung, was wiederum das Immunsystem schädigen kann. Im Umkehrschluss bedeutet, das, dass wir anfälliger für Krankheiten, im Besonderen für Infektionserkrankungen, werden. In seltenen Fällen kann der Herzschmerz auch zu Organschäden führen. Beim Broken-Heart-Syndrom etwa kommt es zu einer Schädigung der Herzstruktur und folglich seiner Funktion. Im schlimmsten Fall kann die Krankheit zum plötzlichen Tod führen. „Oft wird davon gesprochen, dass dieses Syndrom jeden von uns plötzlich treffen kann.“ Doch Doering sieht das kritisch. Das Phänomen trete dem Klinikleiter zufolge äußert selten auf. „Ich glaube nicht, dass man gefährdet ist, daran zu erkranken, wenn man keine kardiovaskulären Vorerkrankungen hat.“ Um genauere Aussagen über das Syndrom machen zu können, müsse man es dem Psychiater zufolge noch genauer untersuchen.
„Alles, was wir mental und emotional erleben, wirkt sich auch auf unseren Körper aus.“
Die Variationsbreite der körperlichen Symptome weist darauf hin, wie unterschiedlich die Trennungsverarbeitung verlaufen kann. Anders als viele vermuten, ist die Dauer der Beziehung kein ausschlaggebendes Kriterium. Auch wenn ihre Beziehung nur zwei Jahre andauerte, merkt Sara, dass ihr der Loslösungsprozess viel schwerer fällt als bei ihrer vorherigen Beziehung. Eine Sache, die den Schweregrad der Trennung erheblich mitbestimmt, ist die Harmonie der Partnerschaft. Eine ambivalente Beziehung, geprägt von stark widersprüchlichen Gefühlen, erschwert den Loslösungsprozess im Nachhinein etwa immens. Die Ambivalenz ist oft eine Folge von Konfliktvermeidung, wie Doering erklärt:
„Wenn man jemanden tief liebt, aber gleichzeitig auch Emotionen wie Zorn und Angst totschweigt, fällt die Loslösung vom Partner oder der Partnerin oft sehr schwer. Der Zorn, den man nie ausgedrückt hat, kann einem im Nachhinein sehr quälen und den Trennungsprozess verkomplizieren.“
Wut gegenüber ihrem Expartner zu empfinden, fällt Sara schwer. Ihre Beziehung schätzt sie auch heute noch als harmonisch ein. Es kam nie zu Streitereien; selbst in schwierigen Zeiten unterstützten die beiden einander stets. So auch, als Thomas seinen alten Job kündigte. Gemeinsam verfasste das Paar neue Bewerbungen und durchforstete Stellenangebote. Dass diese harmonische Liebe plötzlich verschwand, schmerzt Sara zutiefst und bringt sie ins Grübeln. Liegt es an ihr? Ist Sara möglicherweise beziehungsunfähig?
Beziehungsunfähigkeit gibt es wirklich
Tatsächlich gibt es so etwas wie eine Beziehungsfähigkeit. Bereits früh in der Kindheit wird diese gelernt. In der psychologischen Forschung befassen sich zahlreiche Theorien genau mit diesem Thema. Ein weitgehend bekannter Ansatz ist etwa die Bindungstheorie von John Bowlby. Der Theorie zufolge finden bereits während den ersten Lebensjahren wichtige Beziehungsprozesse statt. Die erste und prägendste Bindung ist die zu den eigenen Eltern. In dieser Beziehung sammeln wir erste Eindrücke und Erfahrungen. Sie prägen unsere Vorstellungen und Verhaltensmuster zum Thema Liebe zutiefst. Wächst man selbst in einer unsicheren Beziehung zu den engsten Bezugspersonen auf, so ist die Tendenz viel höher, auch selbst einen unsicheren Bindungstypen zu entwickeln. Bowlby unterscheidet hier zwischen vier Bindungstypen, wobei nur einer davon als sicher-gebunden gilt. Auf Basis des Bindungstypen entwickeln sich auch Streitkultur, Kommunikationsstile und das Bedürfnis nach Körperkontakt. Es ist also ein Zusammenspiel vieler Dinge, aus denen sich das eigene Beziehungsmuster heraus entwickelt.
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Festzustellen, dass man beziehungsunfähig ist, fällt vielen nicht leicht. Dennoch ist es ein zentraler Aspekt, der vielfach in der Psychotherapie behandelt wird. Bevor es jedoch zur Beziehungsaufarbeitung kommt, findet ein anderer Prozess während des Trennungsprozesses zuerst statt: Die Verarbeitung der tiefen Trauer um den Verlust einer geliebten Person. Auch Sara hat erstmals keinen Kopf, um sich mit ihrem Beziehungsstil zu befassen. Trauer und der Schmerz sind vorerst zu groß. Doch eines weiß sie mit Sicherheit: Sie war in einem stabilen und liebevollen Umfeld aufgewachsen, betrachtet sich selbst als sicher gebunden und legt großen Wert auf die Beziehungen zu ihrer Familie und ihrem Freundeskreis. Während ihrer Trennung zieht sie zurück zu ihren Eltern.
Die Ambulanz für Liebeskummer
Um Menschen wie Sara bei der Trennungsverarbeitung zu unterstützen, gibt es vor allem im Internet zahlreiche Hilfsangebote. Ein Beispiel hierfür sind Liebeskummerforen, welche vielfach vertreten sind und Austauschmöglichkeiten für Betroffene bieten. Ist der Leidensdruck groß, können auch professionelle Einrichtungen hilfreich sein. Eine dieser Einrichtungen ist die Trennungsambulanz im 22. Wiener Gemeindebezirk. Seit einem halben Jahr ist Sara dort in Behandlung, etwa alle ein bis zwei Wochen besucht sie die Ambulanz. Ihre psychosoziale Beraterin ist Sabrina Limbeck, welche vor etwa fünf Jahren die Hilfseinrichtung gegründet hat.
„Die Trauerbewältigung stellt für die Betroffenen eine große Krise dar. Einige haben mit Schuldgefühlen zu kämpfen, andere wiederum empfinden große Scham. Mithilfe der Therapie sollen die Verlassenen erstmal wieder gestärkt werden“, erklärt Limbeck.
Etwa 20 Einheiten pro Woche bietet die Beraterin in ihrer Ambulanz an, die Kosten belaufen sich auf 90 Euro pro Stunde. Die Anfrage nach neuen Therapieplätzen ist hoch. Sowohl im Alter als auch in Beziehungsform und Geschlecht ist Limbecks Klientel divers vertreten. Abgesehen von den heterosexuellen Beziehung sind auch Klient:innen mit anderen Beziehungsformen in Behandlung, so etwa auch polyamoröse Paare, in Behandlung. Die Form der Partnerschaft sei der Liebeskummer-Expertin zufolge egal. Die Herausforderungen und Themen nach der Trennung bleiben gleich. „Wenn man von Geliebten verlassen wird, ist man verletzt, egal welche Art der Beziehung man geführt hat. Während die Probleme der Beziehung individuell sein können, verläuft der Loslösungsprozess sehr ähnlich.“
Um noch mehr Plätze bereitstellen zu können, teilt sich Limbeck ihre Ambulanz mit Sozialberaterin Sigrid Binder. Zusätzlich zur unterstützenden Trennungsbegleitung wird ein begleitendes Gespräch für noch bestehende Paare in der Krise angeboten: „Kommt ein Paar zum Entschluss, fortan getrennte Wege zu gehen, so wird in der Einheit versucht, gemeinsame Regeln aufzustellen. Oft wird besprochen, wie man die Trennung den Kindern vermittelt“, erklärt Limbeck. Sind die Formalitäten erstmal geklärt und die Betroffenen vorerst stabil, so motiviert die Beraterin ihre Klient:innen dazu, über sich und die vergangene Beziehung zu reflektieren.
„Man sagt ja immer, dass zum Beziehungs-Aus zwei gehören. Oft stimmt das aber gar nicht. Manchmal hat man einfach eine:n Partner:in erwischt, die:der nicht zu einem passt.“
Auch eine potentielle Beziehungsunfähigkeit der Klient:innen wird in der Therapie geprüft. Im Laufe der Zeit stellt auch Sara fest, dass die Trennung nicht aus heiterem Himmel folgte. Heute ist ihr klar, dass Thomas sich zurückgezogen hat, um Gefühle und Konfrontation zu meiden. Sie merkt, dass es nicht die Harmonie war, weswegen die beiden nie gestritten haben.
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Zusätzlich zur Beratung ist ein unterstützendes Umfeld in dieser Zeit besonders wichtig. Aushilfe im Alltag, wie Limbeck erklärt, bewirkt dabei Großes: „Viele Betroffene haben Schwierigkeiten damit, ihren Alltag zu bewältigen. Es ist völlig okay, seine Mitmenschen in dieser Situation um Hilfe zu bitten. Das können simple Dinge wie ein gekochtes Abendessen oder das gemeinsame Ausmalen der Wohnung sein.“ Von Familie und Freund:innen erhielt Sara stets tatkräftige Unterstützung. Wenn sie einmal wen zum Reden brauchte, war stets jemand da. Ihrem Umfeld gegenüber ist die Volksschullehrerin sehr dankbar, die Beratung in der Trennungsambulanz könne es dennoch nicht ersetzen.
Beziehungen führen muss gelernt werden
Bowlbys Bindungstheorie und das Konzept der Beziehungsfähigkeit spiegeln sich auch in den internationalen psychiatrischen Klassifikationssystemen wider. Die sogenannte Personality Function zählt als Diagnosekriterium für zahlreiche Persönlichkeitsstörungen wie etwa Borderline. Das Kriterium setzt sich aus zahlreichen Dimensionen zusammen, wie Stephan Doering erklärt: „Ein Aspekt des Personal Functionings ist das Interpersonal Functioning. Hiermit werden Dinge wie die Bindungsfähigkeit, oder die Bereitschaft zur offenen Kommunikation mit Anderen umfasst“, erklärt er. Auch die Konfliktfähigkeit ist Teil des Interpersonal Functionings, die gesunde Streitkultur ist in der Beziehung ausschlaggebend. „Wenn sich ein Paar streitet, ist es erstmal wichtig, einen Schritt auf den anderen zuzugehen. Ein gemeinsame Mentalisierung der eigenen Gefühle und Probleme führt dazu, die reinen Beschuldigungen hinter sich zu lassen“, so Doering. Die Fähigkeiten des Interpersonal Functionings werden dem Arzt zufolge früh in der Kindheit erlernt, die Beziehungen im Umfeld des Kindes sind prägender Wegweiser. Kurz gesagt bedeutet dies, dass frühere Beziehungen wie etwa die Mutter-Kind-Bindung starken Einfluss auf die Gestaltung der eigenen Partnerschaft nehmen. Sara erinnert sich, dass Thomas in einem schwierigen Familienumfeld aufwuchs. Im Laufe ihrer Behandlung versteht sie immer besser, wieso es letzten Endes zur Trennung kam – ein wichtiger Schritt, um die Trauer um diese zu bewältigen.
„Ein gewisses Maß an Liebeskummer ist gesund, denn nur so lernt man mit dem Verlust umzugehen“
Um sich von all dem Gefühlschaos abzulenken, ist Sara seit dem Sommer wieder auf Dating-Plattformen aktiv. Sie trifft wieder neue Menschen und verliebt sich in einen neuen Mann. Die Liebschaft bleibt letztlich ein Sommerflirt, denn Sara merkt, dass sie noch nicht bereit für eine neue Beziehung ist. Wenn auch nur für eine gewisse Zeit, scheint Sara momentan „beziehungsunfähig” zu sein, zu sehr hält sie noch an ihrer alten Partnerschaft fest. Neue Dates vergleicht sie ständig mit Thomas. Keiner kann ihm das Wasser reichen. Außerdem hat sie ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen.
Dass Liebesverhältnisse kurz nach einer Trennung nicht weit führen, sieht Limbeck immer wieder bei ihren Klient:innen. „Um sich von der Trauer abzulenken, stürzen sich manche gerne in eine neue Liebe. Für eine gewisse Weile klappt das auch ganz gut, der Schmerz der letzten Trennung wird dadurch aber nicht weniger, man schiebt ihn einfach auf.“ Auch Doering rät seinen Patient:innen, den Trennungsschmerz nicht mit sich zu ziehen.
„Der Schmerz wird nur weniger, wenn man ihn zulässt. Ein gewisses Maß an Liebeskummer ist gesund, denn nur so lernt man, mit dem Verlust umzugehen. Abstand von der:dem Partner:in, sofern es die Umstände erlauben, sind wichtig.“
Im Laufe der Zeit sieht Sara ein, dass eine neue Beziehung mit jemand anderem erstmal nicht in Frage kommt. Zu ihrer Überraschung scheint auch Thomas zu merken, dass er noch nicht für jemand anderen bereit ist. Im Herbst starten die beiden einen erneuten Versuch und werden wieder ein Paar, die Beziehung hält jedoch nicht lange. Es sind dieselben alten Probleme, mit denen sie konfrontiert sind. Die beiden trennen sich nochmals und Sara sieht ein, dass Thomas einfach nicht der Richtige für sie ist. Sie ist bereit dazu, über ihn hinwegzukommen und das Meer nach neuen Fischen zu erkunden.
Anlaufstellen bei Liebeskummer und Herzschmerz findest du hier:
Trennungsambulanz: +43 699 113 910 50
Liebeskummerpraxis: + 43 699 10457060
Rat auf Draht: 147
Ö3 Kummernummer: 116 123
Die Liebesgeschichte von Thomas und Sara basiert auf einer wahren Begebenheit. Auf Wunsch der Betroffenen wurden die beiden anonymisiert. Die Informationen stammen aus einem persönlichen Gespräch mit Sara, in welchem sie ihre Beziehung aus eigener Sicht schilderte.