Die verstellte Uhr in mir
Fotos: Sabrina Strutzmann, Jana Reininger/ZIMT Magazin, AI-Generator: Canva
Bruno Prahmsohler ist Neurologe, Schlafmediziner und Verhaltenstherapeut. *
Collage: Jana Reininger/ZIMT Magazin; Foto: Martin Hofman/Humanomed; AI-Generator: Canva
Als Journalistin steht Recherche an der Tagesordnung. Selbst betroffen von einer bipolaren Störung und den damit einhergehenden Schlafstörungen, beschäftigte ich mich kürzlich also mit Therapiemöglichkeiten, die dabei helfen könnten, nachts zur Ruhe zu kommen. Immer wieder bekomme ich neue Medikamente oder passe die Dosis der Tablette an. Das wirkt sich auf meine Erholung aus. Ich könnte durchgehend schlafen, ich schlafe gar nicht, ich wache ständig auf. So ganz passt es nie. Da muss es doch mehr geben.
Dieser Text ist im Rahmen der ZIMT-Werkstatt entstanden.
Gibt es! Eine Schlafentzugstherapie – das habe ich irgendwo aufgeschnappt. Doch wirklich viel findet man auch mit gelernter journalistischer Recherche dazu nicht. Fragt man im Bekanntenkreis nach, hat sowieso kaum jemand davon gehört. Ein Grund, bei jemandem genauer nachzuhaken, der sich auskennt. Bruno Prahmsohler ist Facharzt für Neurologie, Schlafmediziner und Verhaltenstherapeut.
„Schlafstörungen und psychische Erkrankungen beeinflussen sich oft gegenseitig“, berichtet der Arzt. Sie können Symptome einer psychischen Erkrankung oder auch Auslöser für Psychosen sein. In der ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen) werden nichtorganische Störungen mit dem Diagnoseschlüssel F51 kodiert. Schlafstörungen nennt man ebenda Insomnien. Frei übersetzt bedeutet Insomnie „Schlaflosigkeit“. Jedoch sind Schlafstörungen nicht einfach Schlaflosigkeit. Betroffene können zu viel schlafen, zu wenig schlafen, in der Nacht nicht schlafen, nicht durchschlafen… Die Liste könnte noch länger ausgeführt werden. Fakt ist: Der Schlaf ist beeinträchtigt.
Den Teufelskreis durchbrechen
Vor allem aber gehen Schlafstörungen mit Depressionen einher. „Patient:innen erleben durchwachte Nächte, wachen zu früh auf oder können schwer einschlafen. All das führt dazu, dass das Gedankenkarussell sich immer schneller zu drehen beginnt“, so der Experte.
Schlaf besteht aus mehreren Schlafzyklen, zu jeweils etwa 90 Minuten, in denen verschiedene biologische Prozesse vonstatten gehen.*
Bild: Jana Reininger/ZIMT Magazin/AI-Generator: Canva
Das steckt dahinter
„Bereits vor 40 Jahren haben in Deutschland mehrere Forscher:innen herausgefunden, dass ein partieller Schlafentzug eine Verbesserung des Gesundheitszustandes herbeiführen kann“, so Prahmsohler. Depressionen sind gekennzeichnet durch negative Gedanken, Interessenslosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Auch der Biorhythmus ist oft gestört. Dieser lässt uns zu bestimmten Zeiten routiniert aufstehen und einschlafen. „Bei depressiven Menschen kommt es oft vor, dass sich der körpereigene Biorhythmus nicht mehr richtig einstimmen lässt“, erklärt Prahmsohler. Und genau dieser soll sich mittels Wachtherapie wieder einpendeln.
In der REM-Phase werden erlebte Emotionen verarbeitet. Bei Depressiven ist diese Phase jedoch verkürzt.*
So bekommt die innere Uhr wieder den richtigen Takt
Therapeutischer Schlafentzug wird meist stationär angewandt, so Prahmsohler: „Zuerst schläft der Patient 24 Stunden lang gar nicht. Am nächsten Tag geht der Patient um 18 Uhr ins Bett und steht um 1 Uhr nachts wieder auf. Am darauffolgenden Tag beginnt die Schlafphase um 19 Uhr. Täglich bleibt man eine Stunde länger auf und schläft länger, bis die für jeden entsprechende Schlafzeit wieder erreicht ist.“ Der Sinn dahinter: Je länger wir wach sind, umso größer wird der Schlafdruck. Die Kurven zwischen Schlafen und Wachsein müssen also wieder weiter auseinandergelegt werden. Ein Fehler, den jedoch viele Depressive machen: Das Vormittags- bzw. Nachmittagsschläfchen – genau jenes bringt den Biorhythmus wieder durcheinander.
Je länger also jemand auf ist, umso schneller schläft die Person auch ein. „Dies sollte im Normalfall dann binnen 10 Minuten erfolgen“, sagt der Experte. Auch nächtliche Zeiten des Wachliegens verkürzen sich dadurch wieder. Doch wie schafft man es, während der Therapie wirklich so lange wach zu bleiben? „Wir arbeiten mit Patienten vorab einen Tätigkeitenkatalog durch.“ Beispiele hierfür sind: die Kleidung für den nächsten Tag herrichten, spazieren, kochen, backen, malen – alles bis auf ruhig stimmende Tätigkeiten wie beispielsweise Fernsehen. Es geht darum, das Bett zu verlassen und aktiv zu sein.
Die Wachtherapie kann auch zuhause angewandt werden – Patient:innen werden dazu in einer Psychotherapie aufgeklärt. In den meisten Fällen erfolgt die Behandlung aber stationär. Will man es zuhause anwenden, so sollte man vorab eine Therapie machen, bei der man die genaue Anleitung bespricht.
Keine Foltermethode
24 Stunden nicht schlafen, die Schlafzeit generell verkürzen – das klingt für viele nach Folter. Prahmsohler versichert, dass es das aber definitiv nicht ist. Neben dem therapeutischen Schlafentzug ist es wichtig, dass Patienten mehr zum Thema Spannungs- und Stressabbau lernen und eine kognitive Umstrukturierung erfolgt: Schlafstörende Gedanken sollen umgepolt werden. Weiters sei eine zusammenhängende, kürzere Schlafdauer gesünder als eine lange, zerstückelte Schlafdauer. „Durch die Wachtherapie wird bei Vielen eine antidepressive Wirkung erzeugt, weil der Biorhythmus wieder funktioniert“, so Prahmsohler. „Eine Erfolgsquote von 70 Prozent aus einer in Deutschland veröffentlichten Studie spricht für sich.” Prahmsohler wendet diese Behandlungsmethode schon seit Jahrzehnten an.
Die Autorin Sabrina Strutzmann erlebt aufgrund ihrer bipolaren Störung Schlafprobleme.*
Collage: Jana Reininger/ZIMT Magazin; Foto: Sabrina Strutzmann; AI-Generator: Canva
Weiters lässt sich die Wachtherapie auch mit anderen Methoden wie der Lichttherapie gut kombinieren. Und Medikamente sind dann überflüssig? Keineswegs. „Die Medikation wird vorerst beibehalten. Die beiden Methoden zur Verbesserung des Schlafes sind eine gute Kombination“, berichtet der Experte, der allen Betroffenen folgendes Motto mitgibt: „Im Bett wird nur geschlafen und geschlafen wird nur im Bett!“
Eine Manie möchte ich keinesfalls riskieren, deshalb kommt diese Therapieform für mich nicht in Frage. Für mich bedeutet dies also weiterhin: Medikamente und Entspannungsübungen. Doch für viele andere Menschen mit psychischen Erkrankungen scheint die Schlafentzugstherapie eine geeignete Therapieform zu sein. Die Frage danach, warum dennoch so wenige von dieser Möglichkeit wissen, bleibt für mich offen.
* Der Hintergrund dieses Bildes wurde mithilfe künstlicher Intelligenz hergestellt. Die unklaren Silhouetten und der surreale Stil des künstlichen Bildes symbolisieren die Eindrücke, die Träume oft hinterlassen.