Drei Wochen weg: Sabrina
Nach einem Burnout findet sich Sabrina in der Psychiatrie wieder. Dort laufen die Dinge anders, als sie bislang dachte. Ein Erfahrungsbericht.
Text: Sabrina Strutzmann
Bilder: ZIMT Magazin/AI-Generator: Canva
„Ja, ich arbeite viel, wird sicher bald besser, das ist nur dieser Übergang.” Vor wenigen Wochen wurde die Zeitung, bei der ich arbeite, von einer anderen übernommen, ein Großteil des Personals ausgetauscht. Der Stress ist groß. Schon um fünf Uhr morgens schlage ich bei einem Kaffee und einer Zigarette den Laptop auf und starte in den Arbeitstag. Vor meinem Freund rechtfertige ich mich an einem dieser Tage mal wieder. Am nächsten Morgen geht unsere Beziehung in die Brüche. Ich bin froh, dass ich nun mehr Zeit zum Arbeiten habe. Traurig bin ich nicht, eher wütend, wie schon in den letzten Wochen.
Dieser Text ist im Rahmen der ZIMT-Werkstatt mit freundlicher Unterstützung der dezentralen Bezirkskulturförderung 9. Bezirk erschienen.
In den vergangenen Wochen – oder waren es gar Monate – war ich hauptsächlich wütend. Auf alles. Hauptsächlich auf meinen Ex-Freund, ohne Grund. Meine ganze undefinierbare Wut ließ ich an ihm aus. Ich fand mich ehrlich, nicht direkt oder gar gemein. Ich sprach laut und schrie nicht. Zwei Tage später: ein verantwortungsbewusster Zusammenbruch. Verantwortungsbewusst, weil montags ist Produktionsschluss und als Redaktionsleitung habe ich die Verantwortung darüber, dass die Zeitung auch tatsächlich in den Druck geht. Doch dann ging nichts mehr. Zuerst zittern meine Hände, dann mein Körper, bis ich nur mehr kauernd auf dem Boden liege.
„Schon um fünf Uhr morgens schlage ich bei einem Kaffee und einer Zigarette den Laptop auf und starte in den Arbeitstag“, schreibt Sabrina. Sie erkrankt an einem Burnout.
Es folgt ein Besuch bei der Hausärztin. Sie sieht mich und ahnt sofort, dass etwas mit mir nicht stimmt. „Mir geht‘s gar nicht gut, ich habe keine Kraft mehr. Können Sie mich bitte ein paar Tage krankschreiben?“ Naja, vielleicht wären zwei Wochen ganz gut, um mich zu erholen. Dann funktioniere ich wieder. Hach, wie ich dieses Wort hasse! Funktionieren!
„Frau Strutzmann, Sie sehen gar nicht gut aus.“ Danke auch. Sie meint es nett, schreibt mich zwei Wochen krank, stellt den Verdacht eines Burnouts und verschreibt mir ein leichtes Antidepressivum. Damit soll ich dann also in zwei Wochen wieder funktionieren, denke ich. „Nein, das ist erstmal nur für die Übergangszeit, Sie sollten eine:n Psychiater:in aufsuchen. Zumindest. Eher würde ich eine Klinik vorschlagen.“ Ich bin so fertig mit allem und jedem, dass ich nicht mal die Kraft habe, mich dagegen zu wehren. „Dann gehe ich eben ein paar Tage in die Psychiatrie, das wird dann schon helfen.“ Daraus werden drei Wochen.
Hilfe, wird man da eingesperrt?
Psychiatrie – das Wort ist so negativ behaftet. Müsste ich in ein Krankenhaus für eine Operation, würde ich es leichter erzählen können. Was erwarten die meisten beim Gedanken an eine Psychiatrie? Zwangsjacken und lauter „Verrückte“, die herumirren? Ich muss sofort an den Film „Durchgeknallt“ denken und habe Angst, dass ich nicht einfach gehen kann, wenn ich wieder nachhause will. Ich muss dazusagen, dass es sich in meinem Fall um eine „Psychiatrie light“ handelt, da ich eine Zusatzversicherung habe (die mir bis zu dem Psychiatrieaufenthalt und auch danach nie wieder was gebracht hat, aber man weiß ja nie) und ich so in eine Privatklinik gehen „darf“.
Die Psychiaterin schreibt Sabrina krank und verschreibt ein leichtes Antidepressivum.
Der genaue Unterschied zur „normalen“ Psychiatrie ist mir nicht bekannt, da ich keine Vergleiche habe. Welche Vorteile die Privatklinik genau hat, weiß ich also nicht genau, aber dass ich es in der Einrichtung, in der ich bin, besser habe, höre ich von den Mitbewohner:innen und Ärzt:innen oft. Vielleicht, dass man das Zimmer nur mit einer anderen Person teilt statt mit mehreren. Meine Zimmergenossin ist total nett und sympathisch, somit meinte sie folgende Aussage bestimmt auch nur gut: „Lach doch mal, unterhalte dich mehr mit mir, sei doch nicht so traurig.“ Das hilft mir in einer Depression aber nicht weiter, stresst mich eher noch mehr, denn genau das möchte ich ja, es funktioniert aber momentan einfach nicht.
Fragebögen, Psychotherapie, Sport und mehr
Mein Tag ist strukturiert mit Schlafen, Visiten, zahlreichen Fragebögen am Computer, Psychotherapie und Physiotherapie, das heißt 20 Minuten Radfahren, Corona-bedingt mit FFP2-Maske. Und mit Medikamenten – die Pillen sind gelb, rosa und weiß. Keine Ahnung, worum es sich da genau handelt. Ich wehre mich nicht dagegen, mir fehlt die Kraft und ich will einfach nur, dass es mir wieder besser geht. Ich selbst denke, ein Burnout zu haben. Das ist für mich, da ich doch so viel gearbeitet habe, einfach naheliegend. Doch warum dann so viele Testungen? So viele Fragen? Auch körperlich werde ich komplett durchgecheckt, das gehört vor einer Diagnose zur Routine, so sagt man mir.
Eine psychiatrische Abteilung hat nichts mit den Vorstellungen im Kopf mancher Menschen zu tun. Die Ärzt:innen, Therapeut:innen sind durchaus nett, einfühlsam und hilfsbereit.
„Psychiatrie – das Wort ist so negativ behaftet. Müsste ich in ein Krankenhaus für eine Operation, würde ich es leichter erzählen können.“
Die ganzen Untersuchungen und vielen Gespräche strengen mich sehr an. Da es im Krankenhaus keine Gruppentherapien gibt, habe ich kaum Kontakt zu meinen Mit-Patienten:innen, was mir jedoch passt, ich will einfach nur schlafen. Einschlafen und durchschlafen. Beim Thema Aufwachen bin ich mir nicht mehr so sicher. Fast drei Wochen lang ist der Ablauf derselbe: Medikamente, Therapien, Schlafen und Essen. Die Achtsamkeitstherapien gehen mir bereits damals ziemlich auf die Nerven. Achtsamkeitstherapien, das waren abwechselnd folgende Therapieformen: autogenes Training und progressive Muskelentspannung. Heute weiß ich, es hilft vielen weiter, ich muss aber akzeptieren, dass diese Therapieformen bei mir nicht funktionieren. Eher stressen sie mich zusätzlich.
Auch mit den Gesprächstherapien tue ich mir anfangs eher schwer. Eigentlich habe ich keine Hemmungen, mit fremden Personen zu sprechen, das Problem sind eher die Themen. Gefühle zu besprechen, Gefühle überhaupt erstmal wieder zu fühlen und zuzulassen. Nach etwa zwei Wochen zeigen sich bei mir erste Verbesserungen. Ich habe wieder ein Hungergefühl, kann mich für die wenigen Aktivitäten in der Einrichtung aufraffen. Die Leere aber bleibt, sie soll noch länger andauern.
Wie bitte, bipolar?
Kurz vor Ende des Aufenthalts passiert eine Visite, die ich wohl nie werde vergessen können.
„Frau Strutzmann, sagt Ihnen die bipolare Störung etwas?“
„Nein, wieso?“
„Manisch-depressiv wurde sie vorher genannt. Wir vermuten, dass diese Diagnose auf Sie zutrifft, müssen aber noch weitere Tests machen.“
Meinerseits folgt erstmal eine komplette Abwehrhaltung. Sicher nicht. Sicher nicht ich. Ich habe doch ein Burnout oder vielleicht eine Depression – als wäre das weniger schlimm. Vermutlich will auch bei Diagnosen niemand das bekommen, was er hat? Ich kann der Diagnose anfangs einfach keinen Glauben schenken, ich fühle mich schon depressiv, ja. Aber manisch? Da handelt man ja unüberlegt, ist zu gut gelaunt, nicht mehr ganz man selbst. Das passt doch nicht zu mir.
In der Psychiatrie versucht sich Sabrina an progressiver Muskelentspannung.
Im Laufe der nächsten Zeit folgen weitere Testungen, ich muss eine Lebenskurve aufzeichnen, jene wird genau besprochen: Wann hatte ich bereits Phasen eines Hochs, wann war ich eher depressiv. Es geht darum, herauszufinden, wann die Krankheit genau ausgebrochen ist. Je mehr ich mich mit meiner Geschichte beschäftige, desto mehr kommt die Einsicht, dass die Ärzt:innen und Therapeut:innen meine Krankheit richtig erkannt haben.
Nach drei Wochen werde ich entlassen, der Krankenstand wird verlängert, ein Therapeut für Verhaltenstherapie empfohlen, ebenso soll ich einen Antrag für psychosoziale Rehabilitation stellen. Mit im Gepäck nachhause: jede Menge Rezepte für Psychopharmaka. Habe ich jetzt ein neues Leben, wer bin ich selbst? Darf ich wieder zurück? In meinem Kopf schwirren tausende Gedanken und Fragen herum. Auch heute sind viele davon noch unbeantwortet.
Ich frage mich oft, warum ich nicht früher etwas gemerkt habe, warum ich nicht auf andere gehört habe. Eines weiß ich aber mit Sicherheit: Nämlich, dass ich mich nie mehr für eine Arbeitsstelle so sehr aufopfern werde, dass meine Gesundheit unter ihr leidet.
Mein Alltag in der Psychiatrie
- Visite: mit Psychiater:innen wird der aktuelle Zustand besprochen, wie es geht, wie die Medikamente wirken
- Einzelpsychotherapie
- diverse Psychologie-Testungen: Ausfüllen von Fragebögen
- Physiotherapie: Ergometer und ein paar Übungen
- Achtsamkeitsübungen: autogenes Training oder progressive Muskelentspannung